Als in 1880, nach dem jahrhundertelang andauernden Bau, der Kölner Dom* endlich fertiggestellt wurde und zwei spitze Türme erhielt, so blieb er im Laufe der folgenden vier Jahre (bis 1884) das höchste Gebäude der Welt. Die Errichtung der drittgrößten gotischen Kirche auf der Welt dauerte unglaubliche sechs Jahrhunderte. Es fand in zwei Etappen statt – von 1248 bis 1437 und von 1842 bis 1880. Und wenn man bedenkt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg das Gotteshaus restauriert werden musste und die Arbeiten bis heute unaufhörlich andauern**, so wird man wohl kaum so einen zweiten langwierigen Bau finden.
Nicht viele wissen, dass zusammen mit den ersten schwarz-weißen Abbildungen dieses Baus auf den Postkarten seine Konturen auch auf Geld auftauchten. Z.B. auf dem deutschen Inflationsschein im Wert von 500 Tausend Mark aus 1923 ist die Front des Kölner Doms abgebildet.
Bild 1 Deutschland/Köln – Inflationsschein – 500.000 Mark aus 1923
Probleme mit dem Bau des Gotteshauses gab es mehr als genug. Oft blieb die Arbeit wegen Geldnot stehen. Und es wurde viel davon benötigt. Etwa bis 1530 wurde die finanziellen Probleme, mehr oder weniger, bewältigt. Gerade Anfang des 16. Jahrhunderts erhielt die Fassade des Gebäudes dekorative Verschnörkelungen und Skulpturen. Aber ab 1530 wurde dem Mangel an Geldnot auch noch die unglaubliche Apathie der Regierungen hinzugefügt. Letztendlich waren das Interesse und das Streben den Dom zu vollenden bei den Menschen verschwunden. Seitdem und bis Mitte des 19. Jahrhunderts stand er umringt von Baugerüsten. Das alles wird von historischen Dokumenten bestätigt. Aber die bis heute erhaltenen Sagen und Erzählungen erklären die lange Bauzeit ganz anders. UndinallemwirdderTeufelbeschuldigt…
Wenn man den Legenden Glauben schenkt, so hat gerade der Teufel den Kölner Dom verflucht***. In 1164 brachte heimlich der Kölner Erzbischof Reinald von Dassel aus Mailand nach Köln die Relikte der Drei Magier****. Nach großem Feiern zu ihrem Ehren verwandelte sich die Stadt in einen Ort der christlichen Massenpilgerfahrt. Wo man nicht nur einen Heiligenschrein errichten konnte, sondern auch eine große Anzahl an Gläubigen unterbringen konnte*****.
Es wurde nach einem Architekten gesucht, der sich an solch ein großes und sehr verantwortliches Vorhaben heran wagen würde. Die Wahl traf Gerhard von Riele, der seine Kunst in Frankreich erlernte. Für die Ausarbeitung der Skizzen hat ihm die Stadtregierung ein Jahr gegeben. Aber, trotz des starken Fleißes, war es dem Meister nicht möglich seine genialen Ideen auf Papier zu bringen. Jedes Mal, wenn er seine Skizze schon zum logischen Ende führte, entdeckte er einen Fehler, der drohte alle seine Mühen zu vernichten. Der Architekt begann langsam an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Und dann, eines Tages, spazierte er gedankenverloren am Ufer des Rheins und blieb an einem riesengroßen Stein stehen, der im Volksmund als Teufelsstein genannt wurde. Und plötzlich, wie aus dem nichts, tauchte vor ihm ein Fremder auf, der wie französische Architekten gekleidet war. Der Unbekannte fing an schnell mit seinem Spazierstock (einer anderen Version zufolge war das ein Schwert)etwas im Staub vor den Füßen Gerhards zu zeichnen. Als der Meister genauer hinsah, war er wahrlich erstaunt – auf der Erde vor ihm sah er den vervollständigten Plan des neuen Doms. Der Architekt fragte den Unbekannten, was er für seine Zeichnung haben wolle, worauf der Fremde antwortete, dass er kein anderer, als der Herrscher der Unterwelt ist und: „Deine Seele! Und wenn du mir auch noch die Seelen deiner Frau und deines Kindes versprichst, so werde ich die neue Kirche innerhalb von drei Jahren erbauen. Wenn ich es nicht schaffe, dann wirst du weiterhin dein Leben in der Welt der Menschen genießen. Aber wenn der Dom mit den ersten Hähnen fertig gestellt wird, die am ersten Tag des vierten Jahres singen werden, dann gehören du und deine Familie mir!“
Diese Szene wurde auf dem Kölner Notgeld im Wert von 50 Pfennig von 1922 verewigt. Links, mit den Skizzen in der Hand, der Architekt. Rechts – der Teufel.
Bild 2 Deutschland/Köln – Notgeld – 50 Pfennig von 1922 – Architekt des Doms Gerhards und der Teufel.
Master Gerhard entschied, dass solch einen grandiosen Bau in solch kurzer Zeit zu errichten nicht mal der Teufel schaffen wird. Und deshalb akzeptierte er leichtsinnig die teuflische Wette. Der Satan und seine Gehilfen arbeiteten härter als die sowjetischer Stachanower[1]. Der Lärm von der Baustelle erklang Tag und Nacht. Und mit jedem Tag wurden die Wände des Gotteshauses immer höher und höher. Und das Barometer der Laune von Gerhard von Riele sank immer weiter. Dies entzog sich nicht der Aufmerksamkeit seiner Frau und eines Tages lockte sie aus ihr heraus, was ihn daran hinderte sich des Lebens zu erfreuen. Und als sie über die Bedingungen des Deals erfuhr, erschreckte sie sich erst und dann wurde sie nachdenklich. Eines schönen Tages ging die Frau des Architekten mit ihrem kleinen Sohn zum Markt. Dort lenkte der Junge ihre Aufmerksamkeit auf einen stattlichen Hahn, welcher zur Belustigung der Menge aus seiner ganzen Kraft krähte. Und als der Junge anfing den Hahn nachzuahmen, durchschoss die Frau plötzlich eine Rettungsidee. Jetzt wusste sie, wie sie den Käufer der Seelen überlisten konnte. Seitdem übte die Frau des Meisters täglich das Nachahmen des lauten Vogels. Und als auf ihr Krähen hin die Nachbarhähne reagierten erfuhr sie wieder ihre Seelenruhe.
Währenddessen näherte sich der Bau des Kölner Doms dem Ende. Und dann trat der Tag der Abrechnung ein. An diesem Morgen wachte die Frau sehr früh auf und ging zur Baustelle. Die Dämonen errichteten in diesem Moment die Turmkuppeln. Und in diesem Moment zeigte Gerhards Frau ihre Nachahmungskünste. Sie krähte so wundervoll, dass aus allen Ecken Kölns auf ihre Schreie hin die echten Hähne antworteten. Der Teufel verdächtigte keine Fälle und, mit einem lauten wilden Schrei, fing er an die gerade errichtete Kirche zu zerstören. Aber, wie man so schön sagt, eine Abmachung ist teurer als Geld. Und der Herrscher der Dunkelheit musste sich „nach Hause“ begeben. Und der Dom blieb wieder unvollendet stehen. Seitdem, wer auch immer sich an die Vervollständigung des Baus wagte, kam bei mysteriösen Umständen dabei ums Leben oder verzweifelte so stark, dass er schnell aufgab.
Interessant ist, dass der Vorgänger des Kölner Doms ebenfalls kein positiv behaftetes Schicksal erlitt. Es liegt darin, dass dieser an der Stelle errichtet wurde, wo früher ein Heidentempel stand. Höchstwahrscheinlich ein römischer. Er stand auf der Hügelspitze und die hiesigen Bewohner mieden ihn, wie sie konnte. Es gab Gerüchte, dass dort böse Mächte am Werk sind. Manchmal sahen die Menschen in den Ruinen der alten Gebetshalle wandernde Lichter. Und manchmal sahen sie auch Schreckliches. Und sogar nachdem die antiken Steine ausgegraben wurden und der Ort geweiht wurde, änderte sich die Lage nicht. Außerdem tauchten unter den Spaten der Arbeiter ab und zu Teile der antiken Statuen und Basreliefs auf. Wenn das geschah, wurden alle Arbeiten zum Legen des Fundaments für die christliche Kirche stehen gelassen. Es wurde ein Pfarrer gerufen und er fing an über einem weiteren Fund zu beten in der Hoffnung die Menschen von den Zauberkräften des verfluchten Ortes abzusichern. Später, als die Mauern der christlichen Kirche errichtet wurden, wurde die Arbeit auf der Baustelle nicht selten von unglücklichen Unfällen negativ behaftet******.
Bild 3 Deutschland/Köln – Inflationsschein – 5.000.000 Mark aus 1923.
Die Parameter des Kölner Doms sind beeindruckend. Z.B. beträgt die Höhe des Dachfirstes 61 Meter und die der Türme – 157 Meter*******. Die Länge des Gebäudes beträgt fast 145 Meter. Und die Gesamtfläche aller Fenster dieser gotischen Kirche nähert sich den 10.000km². Und noch eine interessante Einzelheit. Auf einem der unvollendeten Türme (vom Bild der 50 Pfennig aus 1922) kann man einen mittelalterlichen Baukran sehen. Er stand dort einige Jahrhunderte und für viele Generationen der Bewohner Kölns wurde er zu einem eigenartigen Stadtsymbol. DerKranwurdeerstim 19. Jahrhundertentfernt. Es existieren also auch schwarz-weiße Fotos dieses Wunders der mittelalterlichen Technik.
Und was ist mit Meister Gerhard passiert? Leider hatte seine Geschichte ein trauriges Ende. Einige Zeit später nach den oben beschriebenen Geschehnissen tauchte der отдушинSatan wieder vor dem Architekten auf. Und wettete mit ihm, dass er aus er Eiffel nach Köln schneller ein Wasser durch einen Unterwasserkanal bringt, als der Architekt es schafft seine Kirche zu Ende zu bauen. Der Meister sagte zu, denn er wusste etwas, was der Teufel keinesfalls wissen konnte. Und zwar, dass wenn man in dem ganzen Unterwasserkanal keine speziellen Zuglöcher machen würde, Probleme mit dem Zug entstehen würden und das Wasser nicht durch die Rohre fließen wird. Dies teilte er seiner Frau unverzüglich mit, um moralische Unterstützung von ihr zu bekommen. Aber wenn im Fall mit der ersten Wette die Frau ihrem Mann half, so spielte sie in diesem Fall eine fatale Rolle. Der listige Dämon konnte ihr das Geheimnis des Zuges entlocken und ließ das Wasser durch den Unterwasserkanal laufen. Es wird erzählt, dass Meister Gerhard sich auf dem Dach des unvollendeten Turms befand, als er unten den aus der Erde strömenden Teufelsstrom sah. Nachdem er begriff was das für ihn bedeutete, lief er nach unten********, um seine Seele zu retten. Aber er schaffte es nicht. Der Satan, verwandelt in den Höllenhund, stürzte sich hinter ihm. Und bevor der Architekt die Erde erreichen konnte, schnappte ihn sich der Teufel und verschleppte ihn in die Unterwelt.
In einer der Sagen über den Kölner Dom wird erzählt, dass niemand den Bau des gotischen Gotteshauses vollenden konnte, da diesem der Geist des unglückseligen Architekten im Wege stand. Er tauchte plötzlich auf den Gerüsten auf und erschreckte die Arbeiter und manchmal stieß er die Sturen einfach in die Tiefe. Es wird erzählt, dass der Geist des Meister Gerhard noch Jahrhunderte nach seinem Tod nachts um die Kirche wanderte und sein unvollendetes Werk beschützte.
Anmerkungen:
* In der Liste des Welterbes der UNSECO Objekt Nr. 292.
** Am Kölner Dom gibt es eine eigene Werkstatt, wo hauptsächlich Steinmetze beschäftigt sind. Jährlich betragen die Ausgaben für die Aufrechterhaltung des gotischen Tempels etwa 10 Millionen Euro.
***Im Volksglauben heißt es, dass die Arbeiten niemals aufhören werden. Denn wenn so etwas geschieht, dann tritt die Apokalypse ein – also das Ende der Welt.
**** Damit sind die Überreste der Macht der drei biblischen Könige gemeint – Caspar, Melchior und Baltasar.
***** Im Kölner Dom gibt es 4000 Steh- und Sitzplätze.
****** Übrigens, damals wurde eine Reihe an geheimnisvollen Toden in der Stadt beobachtet, was sofort mit der Besudlung des Heidenheiligtums in Verbindung gebracht wurde.
*******Der Südturm ist 157,31 Meter hoch, der Nordturm – 157,38 Meter.
********Gerhard von Riele starb wirklich dadurch, dass er von den Gerüsten fiel.
[1] Die Stachanow-Bewegung (russisch Стахановскоедвижение) war eine sowjetische Kampagne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität in den Betrieben, benannt nach Alexei Grigorjewitsch Stachanow, der am 31. August 1935 in einer Kohlengrube im Donezbecken in einer Schicht 102 Tonnen Kohle förderte und damit die gültige Arbeitsnorm um 1457 % übererfüllte („Planübererfüllung“)[1]. Er wurde als ein „Held der Arbeit“ bezeichnet.
Rolf Meisinger (Mannheim)