Der Besuch des Alten Ladenburg* beeindruckt zu jeder Jahreszeit. Im Frühling, wenn die Knospen auf den Bäumen gerade anfangen zu wachsen, und über den schmalen mittelalterlichen Gassen noch der morgentliche Nebel schwebt, weht es romantische Überlegungen über die Vergangenheit auf einen.
Im Sommer, wenn aus den gemütlichen Cafés und Restaurants die verzaubernden Aromen der Kochkünste fließen, endet der Besuch oft mit einem Glas Bier im Schatten großer Kastanienbäume, wo die Zeit förmlich stehen bleibt. Im Herbst, zur Zeit der großen Festen und bunten Jahrmärkte in Begleitung der Musik eines Blasorchesters und dem Klingeln der Karussells, kommen Erinnerungen über die Kindheit hoch. Und vor allem im Winter, wenn die Dächer der Häuser mit einer flauschigen Schneedecke bedeckt sind, durch Löcher welcher sich der Rauch aus den Schornsteinen faul gen Himmel dehnt, und die Stadt, wie ein alter Mann auf der Bank tags und nachts ein Nickerchen macht.
Die Stadt zu betreten ist am interessantesten durch das Tor des hl. Martin (die richtigere Bezeichnung wäre „Wormser Tor“). Und das aus mehreren Gründen. Denn von dieser Seite wurde am besten die mittelalterliche Stadtmauer erhalten.
Der „Hexenturm“
Die Ecke der einst mächtigen Burg (12. Jhd.) schmückt der „Hexenturm“. Sie blieb fast ohne jegliche Veränderung erhalten.
Erst in 1987 wurde das früher verlorene spitze Dach wiederaufgebaut, das dank den alten Abbildungen und für die Spenden der Stadteinwohner wiederhergestellt wurde. Direkt unter dem Dach, von der nord-östlichen Seite, wurde die mittelalterliche Toilette für die Wachen erhalten. Früher lag vor den Mauern des Turms ein tiefer Graben und die Abfälle wurden dort gelagert.
Übrigens, in diesem Turm wurden in Wirklichkeit niemals die der Zauberkunst beschuldigten Frauen gehalten. Wie nicht ohne Stolz einige Kulturwissenschaftler behaupten, wurde Ladenburg nicht von der Pest der Hexenverfolgungen befallen. Also saßen dort, auf den Gerichtsprozess wartend, nur Diebe und kleine Gauner.
Obwohl, die Kulturwissenschaftler schließen nicht aus, dass in ihrer Lieblingsstadt in den alten Zeiten einzelne Vertreterinnen des schwachen Geschlechts auch mit Diebstahl beschäftigten. Es wird auch über Hexen in den Ladenburger Legenden berichtet. Einst hat ein Stadtbewohner gesehen, wie seine Frau mit Hexenschmalz den Besen einschmiert. Dabei wiederholte sie einen Zauberspruch, welcher ihr erlaubte zu fliegen, ohne mit irgendetwas zusammenzustoßen. Wenn seine Frau nicht zu Hause war, entschied der neugierige Mann die Flugkünste des Besens auszuprobieren, setzte sich darauf und flog aus dem Fenster. Aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht den Zauberspruch aufzusagen. Deswegen stieß er während des wilden Flugs ununterbrochen gegen Bäume und blieb an dornigen Büschen hängen. Letztendlich schafft er es sich an einem Ast festzuhalten und auf die Erde zu springen. Nachdem er nach Hause mit blauen Flecken und Kratzern zurückkehrt, schwört er in Zukunft das Schicksal nicht mehr herauszufordern und die schwarze Magie zu vergessen.
Der Hl. Martin und das Kind, das die Stadt gerettet hat.
Über den im romanischen Stil ausgeführten Tor des hl. Martin blieb die Skulpturgruppe erhalten, die die berühmte Geschichte des Lebens dieses im Mittelalter geehrten Heiligen erzählt. Martins Mission fand in Gallien statt, und zur Winterzeit begab er sich zusammen mit dem Heere nach Amiens. In einem harten Winter traf Martin am Stadttor einen Bettler, der außer eines Lendenschutzes nichts trug. Keiner der Passanten beachtete den armen Mann auch nur im Geringsten. Noch ein bisschen und er wäre erfroren. Martin tat der arme Mann leid, er schnitt seinen Mantel auseinander und gab ihm die Hälfte. Genau dieses Ereignis hat ein unbekannter Bildhauer (13. Jhd.) über dem Wormser Tor von Ladenburg verewigt.
Obwohl, im Volksmunde werden die im roten Sandstein erstarrten Figuren mit noch einer Legende verbunden. Vor langer Zeit wurde die Stadt nach langer Belagerung von den Schweden besetzt. Der Herrscher der Fremden, von der Hartnäckigkeit der Bürger erzürnt, schwor Ladenburg dem Erdboden gleichzumachen, und all seine Bewohner hinzurichten. Als die Menschen sich auf dem Hauptplatz versammelt hatten, flehten sie den Sieger um Gnade an und er erklärte: „Ich werde Euch und Eure Stadt verschonen, wenn ein siebenjähriges Kind in der Lage sein wird, mein Pferd zu halten!“ Dieser Junge wurde wirklich gefunden, und als er die Zügel des Pferdes in die Hände nahm, zwang er ihn auf einer Stelle zu tänzeln. Die erstaunten Schweden hielten ihr Wort und verließen die Stadt, ohne sie zu zerstören.
Die Tatsache, dass Ladenburg in seiner langen Geschichte mehrfach von Feinden belagert und angegriffen wurde, sieht man dank den Kanonenkugelspuren auf dem Stein des Torturms.
Die Stadt wurden von Soldaten Mansfeld (1580-1626) ** während einer Belagerung im Jahr 1622 beschossen. Im Jahr 1645 wurde Ladenburg von den Franzosen unter der Führung von Marschall Turenne*** (1611-1675) erobert. Es ist interessant, dass nach fast 30 Jahren (im Jahre 1674), Turenne, als Hauptmarschall von Frankreich mit einer Armee von 40000 Mann (1660) wieder nach Ladenburg kam, wobei er auf dem Weg die Umgebung verwüstete und plünderte.
Der Geist des Marktplatzes
Der schönste Platz in Ladenburg ist der Marktplatz. Genau hier werden die jährlichen Stattfeste gefeiert. In der Mitte des Platzes ist ein Brunnen, im Zentrum welches eine korinthische Säule steht. Und diese wird wiederum durch eine Statue der Heiligen Jungfrau Maria gekrönt.
Eine ähnliche Skulpturgruppe stand auf dem noch im 19. Jahrhundert. Es ist bekannt, dass es zunächst beabsichtigt war, den Brunnen mit einer Skulptur der Kreuzigung Christi zu schmücken. Allerdings ordnete der hiesige Pfarrer an, gegen den Willen der Mehrheit der Bewohner und der Gemeinde, die Erschaffung des Bildes der Mutter Gottes. Eines Nachts im Jahre 1873 stürzten Unbekannte die Madonna vom Sockel. Die Scherben der Statue wurden in der Friedhofsmauer begraben und bis 1976 fehlte jegliche religiöse Symbolik auf dem Platz. Aber in der zweiten Hälfte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, nach langen Diskussionen, wurde beschlossen die Jungfrau Maris an diese Stelle zurück zu bringen.
Der Marktplatz wird von einem Ensemble von gut erhaltenen historischen Gebäuden umringt, unter denen sich besonders spektakulär die Fachwerkhäuser des 15. bis 18. Jahrhunderts abheben . Und mit einem von ihnen – dem Neunhellerhaus **** oder dem „roten Haus“ – eine Legende verbunden ist.
Einst, in einer Vollmondnacht, eilte ein Nachtwächter durch die Straßen Ladenburgs nach Hause. Als er zum Stadtplatz kam, schlug die Turmuhr Mitternacht. Im selben Moment öffneten sich die Tore des roten Hauses, und von dort flog ein schwarzer Wagen mit schwarzen Pferden heraus. Mit großem Lärm umfuhr sie den Platz und verschwand dann sofort.
Doch bevor der Nachtwächter einen Atemzug nehmen konnte, flog die geisterhafte Kutsche wieder auf den Platz hinaus. Dieser Alptraum dauerte so lange, bis die Uhr ein Uhr morgens schlug. Und dann herrschte auf den Straßen Ladenburgs wieder Stille.
Der „Hahnenmarkt“
Ein paar Schritte vom Zentrum entfernt ist ein weiterer relativ kleiner antiker Platz in Dreiecksform – der Domhofplatz. Vom 9. bis 12. Jahrhundert wurde hier reger Handel geführt, und jetzt ist es eines der beliebtesten Orte der Ladenburger. Im einfachen Volk hieß dieser Platzt der „Hahnenmarkt“. Aber nicht, weil sie Vögel verkauften. Sondern weil einst hier ein Mann mit einem seltsamen Gang lebte. Er bewegte sich wie auf Stelzen. Und wenn er spazieren ging, flüsterten böse Zungen: „Guck , do geht der Gockel!“ ( Schau, der Hahn kommt!).
Auf dem Gelände der bischöflichen Residenz (seit 1423 ), die an Ostern in 1962 verbrannt ist, befindet sich heute das Rathaus. Doch die aufregende Geschichte der Stadtherrscher und -geistlichen wurde nicht vergessen. Seit einiger Zeit wird der Platz mit einer lustigen Bronzekomposition von dem Bildhauer Ulrich Nuss erstellt, dekoriert. Seine Hauptfiguren sind der Bischof von Worms Eckhardt von Dersch (1324-1405) und der pfälzische Kurfürst Ruprecht I. ( 1309-1390 ) .
Dabei wird der Bischof wütend gestikulierend gezeigt und der Kurfürst ruhig, selbstbewusst und auch ein wenig frech. Der „emotionale Widerstand“ der religiösen und weltlichen Mächte in Bronze verewigt erinnert nur entfernt an den brutalen Kampf um die autokratische Führung von Ladenburg, die Jahrhunderten dauerte. Am Ende hat es mit einem Kondo geendet, also der gemeinsamen Verwaltung der Stadt (von 1385 bis 1705). Zusätzlich zu den oben genannten Figuren umfasst die Gruppe auch einen einfachen Bürgerlichen, der mit dem Rücken zum Rathaus stehen. Er schöpft sich aus dem Brunnen Wasser ab und zeigt mit seiner ganzen Art seine nicht einfache Haltung gegenüber den Machthabern. Daneben ist ein römischer Soldat, der darüber informiert, dass Lopodunum ( Lopodunum ist der römische Name von Ladenburg) aufhört eine Kriegsstadt zu sein und nun eine friedliche Siedlung ist.
Dort ist der römische Geist… dort riecht es nach Rom!
Zum ersten Mal siedelten sich die Menschen in den Ländereien von Ladenburg irgendwann vor fünf Tausend Jahren. Historiker wissen von der keltischen Siedlung Lokudunom, was als „Meeresfestung“ übersetzt werden könnte. In 40 n. Chr. Lassen sich dort die alten Germanen nieder, in der Rolle einer Art defensiven Kaders . Eine Art Zaporizhian Sich auf römische Weise. Im 2. Und 3. Jahrhundert n . Chr. erreicht Lopodunum seinen Höhepunkt, wie zahlreiche archäologische Funde belegen. Eines dieser Artefakte befindet sich im Heimatmuseum (Lobdengau-Museum). Dies ist die so genannte Säule des Jupiter.
Ein bemerkenswertes Beispiel des Römisch-Germanischen religiösen Synkretismus*****. Die Besonderheit solcher Denkmäler in den nördlichen römischen Provinzen war, dass der oberste Gott des römischen Pantheons den Titanen besiegend dargestellt wurde. Als Symbol für den Sieg Roms über die Barbaren. Auf einer Säule aus Ladenburg, können Sie auch die Göttin der Weisheit Minerva, die Schutzherrin der Ehe Juno, den Gott des Handels Merkur und den für seine Heldentaten berühmten Herkules entdecken. Die Trümmer der Säule wurden während der Ausgrabungen im Hof der örtlichen Diözese (heute ein Museum ) gefunden. Es ist bekannt, dass sie während des Angriffs von den Alemannen auf die Stadt in 220 zerstört wurde. Die Römer restaurierten das Denkmal. Aber 40 Jahre später invadierten die Barbaren Lopodunum und zerstörten nicht nur die Säule, sondern warfen sie in den Brunnen. An der Stelle, wo es passiert ist, steht heute die exakte Kopie.
Herzlich willkommen nach Ladenburg!
Trotz der stürmischen historischen Meilensteine in der größten in Baden-Württemberg römischen Siedlung, kann man auf den Straßen Ladenburgs keine Geister der einst feindlichen alten Germanen und Römern auftreffen. Außer vielleicht, wenn ins Leben erweckten Steinlegionäre auf die Straße treten und in den Wänden des archäologischen Museums die Waffe erklingen…
Wenn es sie auch gab, dann sind sie in Vergessenheit geraten, und überließen den Vortritt komischeren Bildern. Man sagt, dass in der Vergangenheit, in der Nähe der Weinkeller in der Cronberger Gasse nachts die Passanten von einem in Ketten gefesselten Kalb erschreckt wurden. Aber nachdem auf dem Tor des Weinkellers jemand den Höllenhund gemalt hat, ist der Geist des Kalbs für immer verschwunden.
Also kann man heute durch Ladenburg ganz ruhig sowohl tagsüber, als nachts, spazieren gehen. Denn die Schatten der Vergangenheit sind an der Sicherheit der Touristen genauso interessiert, wie die heutigen Herren der Stadt.
Anmerkungen:
* Das Bundesland Baden-Württemberg.
** Der deutsche Heerführer, Anführer der Söldner im Dreißigjährigen Krieg (1618-48).
*** Den Marschallstab hat er mit 33 Jahren (1943) aus den Händen des Kardinals Mazarini erhalten.
**** Heller – Wechselmünze der germanischen Staaten im Mittelalter und in der Neuzeit.
***** Vermischung religiöser Ideen oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild. (Wikipedia).
Aus dem Russischen von Yevgeniya Marmer