Im Jahr des Wagnerschen Doppeljubiläums (200 Jahre seit seinem Geburtstag und 130 Jahr seit seinem Tod) sind die deutschen Massenmedien überfüllt mit Meldungen über den Komponisten. Die berühmte Wochenzeitschrift „Spiegel“ hat ihm die Aprilausgabe gewidmet, auf dem Titelblatt welcher Wagners Porträt mit der Überschrift – „Verrückter Genie“ stand.
Der Zeitschrift ist eine CD mit einem 90 Minuten Film von Michael Kloft – „Richard Wagner. Deutsches Drama“, beigefügt. In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift wurden Leserbriefe veröffentlicht, unter anderem auch vom Urenkel des Komponisten – Dr. Gottfried Wagner. Davor kommt eine Art Epigraf: „Das ewige deutsche Missverständnis. Die Vorstellung, dass der geniale Maler – eine unbedingt geniale Persönlichkeit sowohl schön als auch der Liebe würdig sein muss, ist ein Überbleibsel der Romantik“. Es zielt unmissverständlich auf den kritischen Ansatz bezüglich der Persönlichkeit des Jubilärs ab.
Die erste Ausgabe des Almanachs von 2013 „Geschichte. Epochen. Menschen. Ideen“, das unter der Aigis der elitären Zeitung „Die Zeit“ herausgebracht wird, ist komplett Wagner gewidmet: Die „Walküre“ in der Ausführung des Wiener Filarmonieorchesters unter der Leitung des Dirigenten Bruno Walter (Aufnahme von 1935).
Schon im neuen Jahrhundert sind mehr als zehn umfangreiche Arbeiten erschienen, die dem Jubilär und den unterschiedlichsten Aspekten seiner Kunst gewidmet sind. Erst im laufenden Jahr wurde das fast Tausend Seiten lange „Wagners Wörterbuch“ herausgebracht, das von Daniel Brandenbirg und Rainer Franke erstellt wurde, und die Bografie „Richard Wagner: sein Leben, seine Kunst, sein Jahrhundert“, die von Martin Gregor-Dellin geschrieben wurde. Aber hier kommt das Interessante: in der riesigen Wagneriane wurden sind nicht nur nicht untergegangen, sondern haben sich auch klar die Weite des Ansatzes und die Tiefe des Verständnisses des sozial-politischen Einstellungen und der ästhetischen Weltanschauung des deutschen Komponisten in der Arbeit des russischen Filosofen A.F. Losew gezeigt, mit dem ich das Glück hatte in der Zeit meiner Doktorandenjugend in Moskau mich zu treffen. Ihm bin ich mit Vielem diesen Artikel verpflichtet.
Der Weg des jungen Wagners in die Kunst war nicht eben und dornig. Trotz der gigantischen Bemühungen die Oper zu reformieren kam Wagner immer öfter zu dem Gedanken, dass es vergeblich sei. Er fühlte sich in Gesellschaft isoliert, die feindlich oder gleichgültig gegenüber seinen Novationen gestimmt war. Er verstand, dass die Gründe der Misserfolge nicht in den Intrigen seiner Konkurrentenkomponisten, die erfolgreicher als er in Paris waren, nicht in dem Intendant des Dresdener Königstheaters, wo er letzendlich als Kapellmeister angenommen wurde, nicht an den lästernden Journalisten lagen, sondern in den sozialen Gemütern verwurzelt waren. Der Kult des Geldes tötete nicht nur die Liebe zur Kunst, sondern auch jegliches uneigennützige Gefühl, denn das moderne Leben sei in seiner Basis verdorben, wodruch die wachsende Kluft in der Gesellschaft entstand, wenn die einen in Luxus ertrinken und vor Langeweile sterben, und die anderen das Leben eines Tieres führen und an harter Arbeit und Hunger sterben, was jegliche Perspektiven für die Entwicklung der Kunst ausschließ. Wagner, wie auch sein jüngerer Zeitgenosse Nitzsche, ware gegen die bürgerliche Weltordnung, kämpften für die „Natur“ gegen die verdünnte und lasterhafte Zivilisation. Er hoffte auf einen allumfassenden sozialen Umsturz, auf eine weltweite Revolution. Die Ankunft „der sozialistischen Republik“ schien ihm unausweichlich.
Seine Begeisterung und das Verständnis der Revolution von 1848 war nichts weiter, als ein Tribut an die Romantik. Für ihn war die Revolution eine Idee, und keine politische Handlung. Er war Artist, Dichter, aber kein Politiker. Er hatte keine durchdachte Ideologie, er wurde von der leicht reizbaren, expansiven Natur gelenkt. Die Bekanntschaft mit dem berühmten Anarchisten Michael Bakunin, der vom Sturz der europäischen Thronen träumte und offen die Tyrannen bedrohte, machte einen großen Eindruck auf Wagner, aber er war nicht so sehr von den vagen abstrakten Ideen des russischen Rebellen hingerissen, sondern viel mehr von seiner Persönlichkeit. Der blauäuigige bärtige Held erweckte eine starke Sympathie beim jungen Komponisten. Nicht überraschend, dass zwischen dem 3. und 9. Mai 1849 er Bakunin während des Volksaufstandes in Dresden auf die Barrikaden folgte. Der König floh, die Freude war unbeschreiblich. Aber die preußischen Truppen besiegten ganz leicht die Rebellen. Die Übergangsregierung, von Bakunin angeführt, wurde verhaftet, aber Wagner entkam. Mit Hilfe von falschen Dokumenten verließ er Deutschland und gelangte in die Schweiz. An Wagners Weltanschauung haben diese paar Tage im Mai 1849 nichts geändert, aber sie zerstörten die Karriere. „Der politische Unruhestifter“ musste mehr als zehn Jahre im Exil verbringen, aber es gab einen Silberstreifen am Horizont: in künstlerischer Hinsicht waren diese Jahre sehr fruchtbar.
In dem Artikel „Die Revolution“, am Vorabend der Mai-Ereignisse im April 1849 hat Wagner die Revolution mit einem himmlischen Wesen verglichen: „Sie kommt auf den Flügeln der Stürme, mit stark hochgezogenen Augenbrauen, blitzt auf, mit strafenden und kalten Augen, und trotzdem strahlt sie eine bestimmte Wärme der reinen Liebe aus, welche von Glück erfüllt ist und in ihr leuchtet, sie wagt es mit kühnem Blick in die dunklen Augen zu schauen! … Sie zerstört das, was im belebten Wahnsinn für Millennia gebaut wurde … wo, zerstörend, ihr Bein die duftenden Blumen berührte und wo bis vor Kurzem die Luft mit dem Lärm der Schlacht erschüttert wurde, hören wir die Stimme der jubelnden befreiten Menschheit! „
Fast ein Jahrhundert später schrieb der russische Philosoph Berdyaev in 1939 in seiner Arbeit „Freiheit und Sklaverei des Menschen“ (Kapitel: Verführung und Sklaverei der Revolution. Zweiseitiges Bild der Revolution): „Der Mensch hat den unwiderstehlichen Drang unterschiedliche Stärken und Qualitäten zu verkörpern. Die Revolution wird auch personifiziert, als Wesen dargestellt. Die Revolution wird auch sakralisiert“. Der Artikel blieb seinerzeit unbemerkt, später wurde er von den akribischen Forschern der Ästhetik Wagners in Umlauf gebracht, aber Berdyaev schreibt so, als würde er Wagners revolutionäre Etüde – Wagners Revolutionshymne – kommentieren.
Natürlich, ist Wagners Sicht von der Revolution, ausgedrückt in einer großen Abhandlung, die er bereits in Zürich geschrieben hatte „Kunst und Revolution“ (1849) weit entfernt von den Zielen und Aufgaben der bürgerlichen Revolution. Wagner predigt eine Revolution, die seine zeitgenössischen Künstler sich nicht mal erträumen konnten. Von der Revolution erhoffte er sich eine Wiederbelebung der menschlichen Rasse. Wie die Romantiker, die in dem Dichter den Erschaffer-Demiurgen sahen, glaubte Wagner, dass nur ein Künstler den Ton in der Gesellschaft angeben kann. „Nur die Kunst ist in der Lage dem Fluss von sozialen Leidenschaften, die leicht wilden Riffe und langsame Wasserfälle zerstören, das hohe und ausgezeichnete Ziel zu zeigen – das Ziel eines edlen Menschen“.
Ja, Wagner träumte von der „freien vereinigten Menschheit“, die sich aus den “ Klauen der industriellen Spekulation“ entrissen hat, die nicht „Industrie und Kapital“ untersteht, die er mit dem Judentum identifizierte und hasste, aber weiter als der romantische Pathos ging er nicht. Es sollte jedoch daran erinnert werden, dass die Romantik in Deutschland nicht nur eine literarische Bewegung oder ein Stil der Zeit war, wie die Gotik, der Barock und der Klassizismus. Laut Alexander Blok „wollte die Romantik und wurde sofort ein Gefühl einer neuen Form, einer neuen Art des Erlebens des Lebens“. Sie beherrschte schnell die Gemüter und wurde zu einer Massenstimmung. Wagner wurde geboren und ist aufgewachsen, wenn die Banner der Romantiker, dieser Generation der Revolution, noch über den deutschen Ländereien schwebten.
Der Wunsch, die Welt zum romantischen Ideal zu bringen wurde von Taubheit, Unverständnis und Gleichgültigkeit des menschlichen Materials (der Begriff von A.Zinoveva) behindert. Das fragmentierte Deutschland, dessen Karte an einen geflickten Teppich erinnerte, beinahe für zwei Jahrhunderte vom Dreißigjährigen Krieg zurückgeworfen, war nicht bereit, die Ideen der Romantiker zu akzeptieren, und es hat nicht die Lehren aus Goethe gezogen.
Feindlich gestimmt gegenüber künstlerischen Menschen, echten Musikern, wie sie von E.T.A.Gofman genannt wurden, brach die Wirklichkeit die Flügel vielen Romantikern, und einige sind in den Abgrund des Wahnsinns gestürzt. Aber Wagner wiederstand, seine Natur unterschied sich nicht nur durch Leidenschaft, sondern auch durch Aktivitäten, und außerdem war seine künstlerische Natur von Größenwahn gekennzeichnet.
Von der romantischen Musik, deren höchste Erscheinungsform sein „Tanhäuser“ und „Loengrin“ waren, geht er zur Bildung des kosmisch-historischen musikalischen Dramas – der Thetralogie „Der Ring der Nibelungen“, an dem er fast 30 Jahre arbeitete. Auf der Suche nach der verallgemeinerten Menschlichkeit konnte Wagner nicht zum Mythos kommen. Zunächst war es der antike Mythos, welcher die attische Tragödie bewirkte, die er für ein Muster zur Nachahmung hielt, wovon das Traktat „Die Kunst und die Revolution zeugt“. Vorbildlich, dass auch sein jüngerer Zeitgenosse Fridrich Nitzsche, dem sich Wagner in der schweizerischen Periode näherte, auch mit der Forschung des antiken Mythos begonnen hatte, und „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ und die Arbeit Wagner widmete, darin zuerst einen gleichgesinnten Mitmenschen sehend. Die Divergenzen und der Bruch mit dem „Bayreuther Prinzip“ werden später geschehen, wenn Wagner dem Volk die Triebkraft der Kunst erklären wird, und einen Akzent auf die Öffentlichkeit setzen und mit dem Massenbewusstsein zu nachsichtig sein wird. Das alles steht noch aus. Aber über welchen Scharfsinn musste man verfügen, damit neben dem Bayreuthder Kult der Musik Wagners erkannt werden kann, aufgedrängt vom Nazismus!
Die Suche nach der verallgemeinerten Menschlichkeit haben Wagner, der den Romantikern folgte, zur verwandten deutschen alten Zeit geführt, zu deutschen „zornigen Mythen“ und vor allem zum Mythos über Siegfried, wo „das trübe deutsche Genie“ besonders deutlich gezeigt wurde. Dazu archaisierte Wagner die Vergangenheit, und drang so „zur Wurzel der Urmythen durch“. Es zog ihn zu den Quellen, den Tiefen, dem Kern des Menschlichen: „von hier aus die so ungewöhnliche Synthese der Magie mit dem nüchternen Verstand, der Eingebung und der Reflexion, der Intuition und des Gelages des Gedankens“ (I.Garin). Die Mythen, der Gedanke, die Weise, das Wort und der Laut wurden bei ihm in etwas grundsätzlich Neues verwandelt. Wagner wurde Revolutionär in der Kunst.
Die Götter und die Helden in „Der Ring der Nibelungen“, agierend aus grenzenlosem Individualismus, verletzen die weltweite Ordnung. Der Obergott Wotan reißt sich mittels der Gewalt vom allmächtigen Abgrund los, er schneidet sich aus dem Weltbaum des Lebens, der Esche Iggdrassil, den Speer – das Symbol der Macht, aus. Die Esche vertrocknet und die Riesen bauen daraus für die Götter das himmlische Prunkgemach – die Wallhalla, das Symbol der Macht und der Isoliertheit. Sie bauen nicht unentgeltlich. Nicht weniger bedeutend ist ein anderes Symbol des weltweiten Wesens – das Gold des Rheins, wonach der erste Teil der Thetralogie benannt ist. Der Obergott der Germanen will es um jeden Preis. Es ist die irrationale Leidenschaft. Aber als erster bemächtigt sich der goldenen Nibelungen Alberich, der die Liebe verflucht hat. Der Ring, der aus diesem Gold geschmiedet ist, gibt die Macht über die Welt, und Wotan ersehnt es zu bekommen. Dabei erkennt er, dass die individualistische Beherrschung vom Gold den Niedergang trägt. Im wahnsinnigen Durst der Eigenbehauptung glaubt Wotan an die Möglichkeit der Erhaltung der Welt mittels des Heroismus, der nicht an das Gesetz und Verträge gebunden ist. Ein Ausdruck dieses Heroismus werden die Walküren (schon in ihrem Flug wird das Element des Demonismus deutlich), und die höchste Erscheinungsform – Siegfried, der mit seinem Schwert den Speer zerhaut und so den Ring bekommt. Die Heldentaten Siegfrieds, der keine Gesetze und Normen kennt, bringen die Tragödie näher. „Der Niedergang der Götter“ – so hat Wagner den abschliessenden Teil der Thettalogie genannt. Die Welt, die auf dem grenzenlosen Individualismus gegründet ist, bei dem die Naturgesetze und die Gesellschaften zertreten werden, nach Wagner, ist verdammt. In der letzten Szene kommen die Walhalla und die Götter im weltweiten Brand um. Die Gewässer des ewigen Rheins tragen zusammen mit der Asche den Ring fort.
A.F.Lossew hat „Den Ring der Nibelungen“ als die Prophezeiung der Revolution benannt. Infolge der Umstände (der Philosoph und seine Frau haben einige Jahre auf den Weiten des GULAG schon verbracht, wo er seine Sehkraft verloren hatte) konnte er Wagner als den Propheten der künftigen Katastrophen nicht nennen. Ja, er sah, wie auch Nitzsche, den Untergang Europas voraus, den Spengler in Mai 1918 verkünden wird.
P.I.Tschajkowski, der den Wagnerismus verurteilte, die Musik Wagners negativ bewertete, hat nichtsdestoweniger ihn als erster als Prophet bezeichnet. „Jeder Prophet, der über die fernen Schicksale des Lebens verkündet, – schreibt A.F.Lossew, – ist ganz und gar nicht verpflichtet, die neue nachrevolutionäre Welt mit der ganzen Wissenschaftlichkeit, dem System und der Fülle vorzustellen. Diese Welt nach der Notwendigkeit wird ihm in irgendwelchen märchenhaften Tönen gezeichnet, und die revolutionäre Umdrehung auch solange in der naiven und mythologischen Form vorgestellt. Deshalb, während er die mythologische Struktur der Tragödie des weltweiten Lebens bei Wagner meint, sollen wir mit dem vollen Recht diese schreckliche Nachricht „Der Ring der Nibelungen“ als nichts anderes als die Prophezeiung des Ungeahnten, aber im Grunde genommen, der utopischen Umdrehung betrachten.
Den ungeahnten Umsturz, haben meine Mitbürger, die Bewohner Russlands, in 1917 erlebt. Mit einem Schritt nach vorne, solange der Leser es nicht vergessen hat, dass „Der Ring der Nibelungen“ mit dem grandiosen Brand zu Ende geht, in dessen Feuer sowohl die Götter umkommen, als auch Walhalla, will ich allen an die denkwürdigen Zeilen aus Bloks Gedicht „Zwölf“ (1918) erinnern: „Wir werden auf dem Kummer aller Kapitalisten /den Weltweiten Brand entzünden /Der weltweite Brand im Blut–/Lieber Gott, segne!“ So hat der Händedruck der deutschen und russischen Dichter über die sie trennenden Räume und die Zeit stattgefunden. Wagner beendet das Programmtraktat „Die Kunst und die Revolution“ mit dem Aufruf, die Opferstätte für „zwei majestätischste Lehrer der Menschheit“ – Christus und Apollo, zu errichten. Alexander Blok diente als Dichter eifrig dieser Opferstätte. Und jetzt sind die Helden seines Gedichts, die durch das nächtliche winterliche Petrograd schreiten, dieses Dutzend revolutionärer Matrosen, jedem von denen „auf dem Rücken ein Karoass“ trägt, „vom zarten Gang des Schneesturms\vom perligen Schneefeld“ begleitet, ja was dort begleitet, was leitet! – „Im weißen Kranz aus Rosen – voran – Jesus Christus!“ Welche Aufrufe!
In Russland war das Interesse für Wagner groß. In 1863 konzertierte er sich hier selbst, und dann reihten sich seine Werke ins Repertoire des kaiserlichichen Mariinsky und anderer Theater ein. Alexander Blok wurde ein Bewunderer seines Talentes von der Jugend an. Er hat die Musik Wagners im Gang der russischen Revolution gehört.
Im Artikel „Die Intelligenz und die Revolution» (Januar 1918) sagt Blok über die Pflicht des Malers „zu sehen, was beabsichtigt ist, jener Musik zuzuhören, die „wie vom Wind zerrissene Luft“ donnert. Was ist damit beabsichtigt? Er erklärt: „Alles zu ändern. So, dass alles neu wird; damit unser verlogenes, schmutziges, langweiliges, hässliches Leben ein rechtmäßiges, reines, lustiges und schönes Leben wird…. Die Revolution, wie der gewittrige Wirbel, wie der Schneesturm, der immer Neues und Unerwartetes trägt; sie betrügt viele grausam; sie verkrüppelt im Strudel die Würdigen leicht; sie spült ans Festland oft die Unwürdigen; aber das sind ihre Einzelheiten, das ändert weder die allgemeine Richtung des Stroms, noch jenen schrecklichen und erschütternden Lärm, welchen der Strom ausströmt. Dieser Lärm ist dennoch immer – über Großes… „Die Welt und die Brüderschaft der Völker“– das Zeichen, unter dem die russische Revolution steht. Worüber ihr Strom brüllt. Hier ist die Musik, die der Mensch mit seinen Ohren hören soll“. Finden Sie nicht, dass die heldenhafte Romantik dieses Ausspruchs zur Wagnerschen Hymne der Revolution von 1849 direkt steigt?
„Fürchten Sie sich nicht vor der Zerstörung des Kreml, der Paläste, der Bilder, der Bücher“ – redet Blok den in Verzweiflung verfallenden russischen Intellektuellen zu und tadelt die, die weinen, die Hände ringend über das Schicksal Russlands ächzen, die geneigt sind, es zu beerdigen, während „über ihm der revolutionäre Zyklon vorbeifliegt“. Ja, der revolutionäre Strom kann vernichtend sein, zerstörend sein, aber es ist die Bewegung, und ihm müssen die Tore geöffnet werden. Wir werden bemerken, dass Serafimowitsch sein Buch über die Tragödie des Bürgerkrieges „Der Strom“ (1924) nennen wird. Die Auswahl des Titels ist nicht zufällig.
Der Autor von „Zwölf“ ist sicher, dass der Sturm, der in 1917 anfing, – reinigend ist. Wie einst der Aufruf des jungen „Sturmvogels der Revolution“: „Wenn auch der Sturm stärker knallen wird!“ – hat ihn gleichgültig gelassen. Jetzt, im Vergleich mit Gorki. ist Blok ein echter „Linksradikaler“. Doch Gorki, im Unterschied zu Blok, hat in der Revolution nicht „die Musik“ und das furchtbare Heulen des hundermillionengroßen bäuerlichen Elements gesehen, das alle sozialen Verbote umwarf und die bleibenden Inseln der Kultur zu überschwemmen bedrohte. Mit den Handlungen Lenins und der Bolschewiks hat er die Uneinigkeit im Zyklus der Artikel „Unzeitige Gedanken“ (1917-18) gerade damals geäußert, als Alexander Blok das Element rühmte und in der Revolution die höchste Erscheinungsform des Volksgeistes sah. „Und der Geist ist die Musik, – sagt er weiterhin. – Der Dämon hat seinerzeit Sokrates befohlen, dem Geist der Musik zuzuhören“. Und letztendlich: „Mit dem ganzen Körper, dem ganzen Herz, dem ganzen Bewusstsein – hören Sie der Revolution zu“.
Wenn in Petrograd im selben 1918 zur Ausgabe in Form einer Broschüre das Traktat Wagners „Die Kunst und die Revolution“ vorbereitet wurde, hat zwar Blok dazu die Einleitung geschrieben, aber es wurde das Vorwort von A.W.Lunatscharskiy bevorzugt. Die Einleitung Bloks wurde dann in Form eines Zeitungsartikels im Sommer 1919 herausgegeben. Als Blok dazu aufrief der Musik der Revolution zuzuhören, meinte er damit die eines bestimmten Komponisten – Wagners, dem, nach Meinung des russischen Dichters, die tiefsten Ideale der geistigen Freiheit bekannt waren: „Wagner ist sowohl immernoch lebendig als auch immernoch neu; wenn die Revolution in der Luft beginnt zu tönen, ertönt als Antwort auch die Kunst Wagners“.
„Den Menschen die ganze Fülle der freien Kunst kann nur die große und weltweite Revolution zurückgeben, die die jahrhundertealte Lüge der Zivilisation zerstören wird und das Volk auf die Höhe der künstlerischen Menschheit erheben kann“.
Sofort nach Wagner (wir werden amerken, auch Nitzsche, obwohl sein Name nicht erwähnt wird) setzt Blok die Zivilisation der Natur gegenüber, trennt sie von der Kultur, und wählt aus den kulturellen Aspekten nur die Musik. Im großen Vortrag „Unfall des Humanismus“, gelesen in 1919 (wurde in Form eines Artikels in 1921 veröffentlicht) spricht er wieder darüber, dass die Kultur der Zukunft ganz und gar nicht in den Bemühungen der Zivilisation, sondern „in den synthetischen Bemühungen der Revolution, in diesen elastischen Rhythmen, in musikalischen Dehnungen, den willenstarken Andrängen, den Fluten und Ebben liegt, deren bester Wortführer Wagner ist“.
Der bekannte Kritiker J. Eichenwald hat im Artikel „Die Pseudo-Revolution“ Bloks der Lästerei und des Zynismus beschuldigt: „Unter den Qualen und dem Wehklagen, unter dem schrecklichen Leiden misst er lästerlich die Revolution mit dem Maß der „Musikalisierung“… Der Zarte Ritter der Schönen Dame mit dem leichten Herz, ich wiederhole – mit dem trockenen Herz, nimmt die jetzige Tragödie wie ein Theaterstück wahr, und dass lebendige, seelenerfüllte, leidende Späne fliegen, betrifft ihn nicht…“
Blok antwortet: „Diese Musik – der wilde Chor, ist ein starkes Wehklagen für das zivilisierte Gehör. Sie ist für viele von uns fast unerträglich, und jetzt wird sie bei Weitem nicht mehr lächerlich erscheinen, wenn ich sagen werde, dass sie für viele von uns auch tödlich ist. Sie ist für jene Eroberungen der Zivilisation zerstörend, die unerschütterlich scheinen; sie steht gegenüber den uns gewohnten Melodien „der Wahrheit, des Guten und der Schönheit“; sie ist gerade feindselig, was in uns von der Erziehung und der Bildung des humanen Europas des vorigen Jahrhundertes verwurzelt ist“.
Gorki, der diesem Vortrag in der Versammlung des davon organisierten Verlages „Die Weltweite Literatur“ zuhörte, hat den Vortragenden als einen Menschen, „der sehr tiefgründig und zerstörend fühlt“ wahrgenommen. Von mir werde ich ergänzen: für „zerstörend“ hielten die Zeitgenossen Bloks die Zeit– der Franzose Paul Waleri, der Angloamerikaner Thomas Elliot und vor allem der schon erwähnte Oswald Spengler, dessen Buch in ganz Russland erschallt ist.
Der Kennwert der Zerstörung des Humanismus, in ihren Augen, war der Erste Weltkrieg. Der Artikel Waleris „Die Krise des Geistes“ wird mit den Worten eröffnet: „Wir, die Zivilisation, – jetzt wissen wir, dass wir sterblich sind“. Sie waren weit von der russischen Revolution entfernt und haben nicht sofort ihre zerstörenden Folgen erkannt“.
Es ist heutzutage offenbar, dass weder Wagner, noch vor allem Blok die Revolution nicht damit identifizierten, was in Europa in 1848 geschehen ist, und in Russland – in 1917. Sie sahen sie wie einen säubernden Sturm, wie eine kosmische Katastrophe, aus der die Menschheit erneuert hinausgehen soll. Blok beendet den Vortrag/Artikel von der Zerstörung des Humanismus mit der Behauptung, dass „im Wirbel der geistigen, politischen, sozialen Revolutionen, eine neue Auswahl mit kosmischen Maßgaben erzeugt wird, es entwickelt sich der neue Mensch; der Mensch – das humane, gesellschaftliche, moralische Tier, das sich in einen Künstler verwandelt, wenn man das mit Wagners Sprache ausdrücken will“.
In seinen Prognosen bezüglich der Geburt „des Künstler-Menschen“ im Feuer der Revolution, wird jeder „fähig sein geizig in der sich öffnenden Epoche der Wirbel und der Stürme zu leben“, womit sich Blok schwer irrte. Er hat das menschliche Material umgewertet: der künftige Flegel verwandelte sich in seinen Augen in den Gegenwärtigen. Aber worin er Recht hatte war die Voraussicht, dass „sich in der großen Schlacht gegen den Humanismus, gegen die musiklose Zivilisation“ am erfolgreichsten in der Bildung der neuen menschlichen Art die deutsche und teilweise slawische Rasse erweisen wird. Und in der Tat hat sich durch die Regimes von Hitler und Stalin die Art Homo Nazius und Homo Sovetikus herausgebildet, die weder moralisch noch human waren. Weder Wagner, noch Blok tragen dafür persönliche Schuld.
Gorki erkennt in seinen Erinnerungen über Blok an (1923), dass, als er seinen Vortrag anhörte, er nicht verstand, ob „ihn die Tatsache des Fallens des Humanismus betrübt oder erfreut“, und zurecht hat er bemerkt, dass „in der Prosa er nicht so flexibel und talentvoll ist, wie in der Poesie“. Deswegen werden wir es mit einem Gedicht von Blok beenden:
Wie es schwer ist, unter Menschen zu wandern
Und seine Lebendigkeit vorzuheucheln,
Und über das Spiel der tragischen Leidenschaften
Noch nicht gelebt zu erzählen.
Und, in seinen nächtlichen Alptraum schauend,
Die Ordnung im nicht schlanken Wirbel die Gefühle zu finden,
Damit nach blassem Feuerschein der Künste
Die Leben den unheilvollen Brand erkennen![1]
[1] Freie Übersetzung des Übersetzers
Greta Jonkis (Köln)
Professor, Dr. Phil.
Mitglied des Internationel PEN-Klubs
Aus dem Russischen von Yevgeniya Marmer