Russland-Deutsche sind eine einzigartige Nation. In den Ländern der ehemaligen UdSSR werden sie als Deutsche angesehen, hier, in Deutschland – als Russen. Aber währenddessen hat sich diese Folkloreschicht zu einem eigenen ethnischen Zweig gebildet – mit ihrer eigenen Kultur, Geschichte, Sitten und Traditionen, auf einzigartige Art und Weise vereint es in sich das russische und deutsche Kulturerbe.
Die ethnische Gruppe, die heute oft mit dem Ethnonym „Russland-Deutsche“ zusammengefasst wird, hat ihre eigene Geschichte noch seit den Zeiten der Fürstin Olga, die Ausländer ins Land zum Arbeiten einlud. Und trotzdem ist die Massenumsiedlung der Deutschen nach Russland mit einer anderen russischen Herrscherin verbunden – Katharina II (übrigens auch Deutsche), die am 22. Juli 1763 das Manifest „Über die Erlaubnis allen Ausländern, die nach Russland kommen, sich in den Gouvernements mit ihnen erteilten Rechten niederzulassen“. Als Ergebnis der Unterzeichnung dieses Staatsdokuments war die Entstehung erster deutscher Kolonien, vorrangig in der Wolgaregion, aber auch in Transkaukasien, Krim und in Wolhynien. Und somit kann man den 22. Juli als eine Art „Geburtstag“ für Russland-Deutsche als ethnische Gruppe betrachten.
Und deswegen ist in ihrer Geschichte das laufende Jahr 2013 besonders. Das ist das Kreuzjahr Deutschlands in Russland und Russlands in Deutschland, in dem das 250 jährige Jubiläum der Unterzeichnung dieses Manifests von Katharina II gefeiert wird.
Die Umsiedlung der Deutschen nach Russland war und ist ein erstaunlicher Fakt der Geschichte. Das Phänomen liegt darin, dass die Rus vor Peter dem Großen aktiv Verbündete außerhalb der Landesgrenzen suchte, und Ausländer zu sich einlud. Aber nur Deutsche, dessen Gewohnheiten und Bräuche eigentlich überhaupt nicht den russischen Bräuchen entsprechen, nicht nur auf den grenzenlosen Weiten des Russischen Imperiums für Jahrhunderte lange verblieben, sondern sich auch hier zu Hause fühlten. Deutsche Pünktlichkeit und russische Kopflosigkeit haben auch diesen Mix des interkulturellen Reichtums erschaffen, den nicht mal das grausame 20. Jahrhundert zerstören konnte.
Als die starke Migrationsbewegung in Europa anfing und von ihren „warmen Plätzen“ – aus Württemberg, Bayern, Sachsen, Holstein und anderen deutschen Fürstentümern – fingen die Deutschen an wegzufahren, dann haben viele andere Länder für sie die Türen geöffnet. Sie wurden nach Südamerika, in die USA, in die warmen Länder des afrikanischen Kontinents eingeladen. Aber eine bedeutende Anzahl der „Jäger nach dem neuen Leben“ wählte das unbekannte, kalte, grenzenlose Russland.
Die Geschichte der Deutschen in Russland ist dadurch erschütternd, dass es auf der Welt nur wenige Umsiedler-Regionen gibt, die so organisch in die Struktur des Gastlandes eingegangen sind, und letztendlich nicht nur auf ihre eigene Art ihre lokale ethnische Welt organisieren konnten, aber auch mit der Unterstützung des Staates ihre eigene Autonomie schufen. In keinem anderen Land, wo die Deutschen kompakt lebten, hatten sie ihre eigene Republik.
Dem ging voran, dass in der Wirtschaft und Politik Russlands, in ihrer Wissenschaft und Kultur die Deutschen mit der Zeit einen wichtigen Platz einnahmen. Sie waren in den Bereichen tätig, wo in ihrem Stand freie Menschen gebraucht wurden – im Staatsdienst und in der Wissenschaft, im Unternehmertum und im Handel, in der Bildung und der Kultur.
Das Auftauchen und die Einbürgerung der Ausländer wurde zu einem der Faktoren der politischen und wirtschaftlichen Emanzipierung Russlands, die aus ihrer Befreiung von den alten Formen der inneren Organisation des Landes folgte. Die Petrover Modernisierung, die Epoche der Aufklärung unter Katharina und die Abschaffung der Leibeigenschaft unter Alexander II fanden alle mit der Teilnahme der Deutschen statt. Und das Bauernleben an der Wolga, am Schwarzen Meer und in an der Regionen, wo die deutschen Kolonisten lebten, war eine ständige Quelle für die Entwicklung des Landes im Ganzen. Die Bauernwirtschaft – die Basis des damaligen Russlands – war der Bereich des intensiven Erfahrungsaustauschs, Adaption neuer Technologien, Einführung der maschinellen Landbearbeitung, der Ernte. Deutsche, nutzten mit ihren Saatmaschinen gerne die in den russischen Dörfern gezüchteten Pflanzen, lernten auf russische Art sich an die Naturumstände zu gewöhnen, sich das zum Dienst zu nehmen, was die Felder und Wälder geben.
Und in diesem hat sich eine Einzigartigkeit der Umsiedler aus den deutschen Fürstentümern gezeigt: erstaunliche Leichtigkeit bei der Annahme der Werte anderer Völker stand im Einklang mit der erstaunlichen Sturheit bei der Erhaltung des eigenen ethnischen Erbes.
Die in 1918 ausgerufene Arbeitskommune der Deutschen in der Wolgaregion, die danach zur Autonomen Sowjetischen Sozialistischen Republik der Deutschen der Wolgaregion wurde, – ist der Beweis. Alle Miseren und Errungenschaften der sowjetischen Macht fanden ihre Spiegelung in dem Aufbau und der praktischen Tätigkeit der Republik, aber zur gleichen Zeit, entgegen des Bürgerkriegs, den Repressionen, die seit der Gründung der Republikbildung anfingen, dem Hunger, hat sich die Republik an der Wolga in ein mächtiges wirtschaftliches und kulturelles Zentrum verwandelt und wurde zum Faktor der nationalen Konsolidierung und Entwicklung. Genau das blieb nach der Deportation in 1941 und der Auflösung der ASSR NP in dem kollektiven Gedächtnis der Russland-Deutschen, die vom Schicksal auf dem ganzen Gebiet der Sowjetunion verteilt wurden.
Deswegen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Regierung der UdSSR nicht die Wiederherstellung der Deutschen Republik verwirklichen wollte, die nationale Bewegung der Russland-Deutschen genau auf die Forderung die Autonomie an der Wolga wiederherzustellen konzentriert, um das zurück zu bekommen, was ihnen ungesetzlich genommen wurde.
Die deutsche nationale Bewegung war niemals eine Protestbewegung, ihre Stimmführer suchten immer Kontakte mit der offiziellen Regierung der UdSSR, versuchten ihre Rechte mit logischem Argumentieren zu bekommen. Im Gegensatz zu anderen repressiven Völkern, von denen viele in den 1950er Jahren die Niederlassungsorte verließen und in ihre „kleine“ Heimat zurückkehrten, warteten die Deutschen, bis Kreml ihnen erlaubt an die Wolga und die anderen Vorkriegsniederlassungsorte zurück zu kehren.
Das Problem der Russland-Deutschen war niemals ein inneres Problem des Russischen Imperiums, und danach der UdSSR. Die Leitung des Landes, sowohl in der Zaren- als auch in der sowjetischen Zeit, baute jedes Mal ihre Politik bezüglich der eigenen Bürger der deutschen Nationalität gemäß den Beziehungen zu Deutschland auf. Das zeigte sich insbesondere in der Nachkriegszeit, als die Handlungen der BRD die sowjetische Regierung reizten, und dann, ab Mitte der 1980er Jahren, auch der entscheidende Faktor der Durchführung einer Linie der Zentralmacht. Die Forderungen, die Lage der Russland-Deutschen zu ändern, die von außen kamen, wurden letztendlich als eine bequeme Form der Rehabilitation des Volkes angesehen: die Umsiedlung nach Deutschland wurde von vielen, unter anderem auch von denen, die mit allen Kräften versuchten die Situation in der Wolgaregion zu ändern, als ein Rehabilitationsakt angesehen.
Notwendig zu erwähnen ist, dass in der „Untergebenenliste“ der Russland-Deutschen viele große Namen auftauchen. Es reicht den literarischen und historischen Künstler Denis Vonwisin zu erwähnen, den Heerführer Mikhail Barklay-de-Tolly, den Moskauer Patriarchen Aleksej II, den Dichter Afanasij Fet, die Schauspielerin Alisa Freindlich…
Und was charakteristisch ist, die Russland-Deutschen heute, sind eine ethnische Gruppe, die (nach der Statistik von 2010) 394 Tausend Personen aufzählt, die auf dem Gebiet der Russischen Föderation leben.
Diana Revazova-Mayer.
(Bei der Vorbereitung der Seite wurde die Seite „Rusdeutsch.ru“ und die Deutsche Jugendvereinigung zur Hilfe gezogen).
Aus dem Russischen von Yevgeniya Marmer