Im ersten Artikel aus dieser Rubrik habe ich meine Liebe zu Binz gestanden und damals habe ich ein wenig gegen die historische Gerechtigkeit verstoßen. Denn als erstes entstand nur der Gedanke die Insel Rügen zu besuchen.
Und dieser Gedanke entstand, könnte man sagen, zufällig. Wir wollten einfach so gerne irgendwo am Meer Urlaub machen. Und Rügen ist irgendwie willkürlich aus den Tiefen des Unterbewusstseins aufgetaucht. Nicht, dass ich besonders viel davon gehört hätte, aber …
Danach sprach ich mit einigen Einheimischen. Alle Deutschen „verdrehten“ genussvoll die Augen: „Oh! Rügen!!! Dort ist es sehr schön!“
Und dann hat auch noch ein Bekannter, wie man so schön sagt, „Öl ins Feuer gegossen“. Er hat irgendwo gelesen, dass diese Insel die berühmte Insel Buyan ist[1]. Die „auf den Weiten des Meeres, des Ozeans“. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Enzyklopädie zu blättern und im Internet zu stöbern.
Die Geschichte und die Mythologie
Es stellte sich heraus, dass die Meinungen der Wissenschaftler praktisch übereinstimmen: „Mit der Erinnerung an die baltischen Slawen, ist wohl in vielen Märchen und Erzählungen das Toponym[2] „Buyan-Insel“ das, was am ehesten als durchaus reales Toponym „Ruyan-Insel“ (Rugia) entziffert wird, die letzte deutsche Insel Rügen, auf welcher, wie allgemein bekannt ist, sich Jaromarsburg[3] befand, das Heidenmittelpunkt der baltischen Slawen“.
Wie die Pushkin-Forscher bemerken, haben einige Züge des echten Ruyan im Volksgedächtnis der östlichen Slawen ziemlich lange verweilt: „Was die Form von Buyan anbetrifft, dann ist das offenbar noch eine Neugestaltung in den späteren Volkserzählungen aus dem schwer verständlichen Ruyan in das für das russische Gehör besser verständliche Buyan. Denn mit dem russischen Wort „buyan“ und auch mit seiner Entsprechung wird in einer seiner Bedeutungen, nach W. Dahl „Anlegestelle, Ladeplatz für Waren“, und in einer anderen – „erhöhter Platz“ assoziiert. In der Antike gingen an ihm die Handelswege von der Nordsee zum Baltikum vorbei, was sich in den Worten der Seehändler in dem „
Märchen von Zar Saltan“[4] wiederspiegelt.
Jedoch, neben den Denominationen Ruyan, Buyan und Rügen hatte die heilige Insel der westlichen und östlichen Slawen noch einen anderen Namen. Bei den arabischen Historikern stößt man nicht selten auf die Beschreibung der geheimnisvollen Insel Rus. Hier ist z.B. was uns darüber 966 Al-Muqaddasi berichtet: „Was die Russen[5] anbelangt, so leben sie auf einer ungesunden, vom Meer umringten Insel. Und dies ist eine Burg, die sie von Angriffen schützt. Ihre gesamte Anzahl erreicht ein Hundert Tausend Menschen. Und sie haben keine Felder und keine Nutztiere. Ihr Land grenzt an das Land der Slawen, sie greifen die letzteren an und bestehlen sie und nehmen sie gefangen“.
Und der persische Historiker des 11. Jahrhunderts Abu Said Gardizi beschreibt sie ein wenig anders: „Rus ist eine Insel, die am Meer liegt. Und diese Insel – drei Tage Reise und in den drei Tagen – überall Bäume“.
Das ist nicht verwunderlich, denn der zweite Teil des Namens des Bundeslandes Mecklenburg – Vorpommern, zu welchem heutzutage die Insel gehört, zählt schon längst in den historischen Kreisen zu der etwas späteren und „eingedeutschten“ Variante des slawischen Pomorje[6].
Und Bäume auf der Insel gibt es zu unserer Zeit ziemlich viele. Unter anderem die, die sich auch wenn nicht an Gardizi, aber an Karl VII., Caterina de´ Medici oder Napoleon „erinnern“. Wenn sie, natürlich, zu ihrer Zeit hier waren.
Heutzutage
Heute ist Rügen eine Insel in der Ostsee, flächenmäßig größte deutsche Insel (Gesamtfläche 926 km²) mit einer Einwohnerzahl von etwas mehr als 70 Tausend.
Ihre Form ist ziemlich bizarr, die Ufer sind stark zergliedert und bilden zahlreiche Buchten, Landzungen und vorspringende Halbinseln, die sich gut für Erholung und Liegeplätze für Schiffe eignen.
Rügen ist durch einen Damm mit dem kontinentalen Stralsund auf dem Festland verbunden, wo es sowohl Eisenbahn, als auch Autobahnverbindungen gibt. Und am 20. Oktober 2007 wurde, neben dem Damm, die längste in Deutschland Brücke (4104 m) gebaut, die sehr dem Golden Gate Bridge in San Francisco ähnelt. Dank der bedeutenden Höhe der zentralen Stützweite (42 m) können unter der Brücke problemlos auch große Schiffe durchfahren.
Auf der Insel kann man Autos mit Nummernschildern aus verschiedenen Ecken Deutschlands, aber auch aus anderen Ländern, sehen. Und in den Buchten und Meerbusen kann man Jachten und Schiffe mit Flaggen fast aus allen Ländern der Welt beobachten. Und jeder kann wohl hier einen Ort zu Erholung gemäß seines Seelenzustands und seines Portemonnaies finden.
Majestätische Schönheit
Man kann wohl diesen Wortlaut am besten zur Beschreibung der Eindrücke von Putbus anwenden. Der ehemalige Fürstensitz verblüfft nicht, verwundert nicht, und erdrückt keinesfalls.
Womöglich ist „Schuld“ daran die in diesem Städchen vorherrschende (weniger als 5 Tausend Einwohner) weiße Farbe. Was heißt hier vorherrschend?! Putbus ist komplett weiß. Außer einiger neuer Bauten am Rande der Stadt. Was soll man denn machen, gewissenhaft den Geboten der Gründerväter zu folgen schaffen nicht alle. Und – nicht immer! Leider kann das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern heute nicht mit Reichtum prahlen, nicht nur im Vergleich mit den westlichen Ländern, sondern auch unter den ehemaligen Ländern der DDR. Und als damals auf der Insel eine fast zehn Tausend große Militärbasis stationiert war…
Es ist ja nicht so, dass die hiesigen Einwohner diese Zeit vermissen, aber… Verschiedene Cafés und Restaurants schlossen wohl kaum damals fast alle um 18.00 Uhr, und Arbeit reichte auch für alle. Mit einem Wort – das Leben verlief in vollen Zügen.
Heute steht ein bedeutender Teil der Gebäude in der Stadt leer. Sie werden weder zum Wohnen, noch für Büroräume gebraucht. Niemand wird von Schildern angelockt, die davon zeugen, dass viele der Bauten schon bald ihr zweihundertstes Jubiläum feiern werden.
Und trotzdem bleiben diese negativen Eindrücke für gewöhnlich irgendwo abseits „auf der Strecke liegen“. Die Haupteindrücke von Putbus kann man kurz beschreiben: weiße Stadt, jahrhundertealter Park, der eine Fläche von 75 ha einnimmt und… Rosen.
Die Rosen von Putbus sind etwas Einzigartiges. Sowohl hinsichtlich der Quantität (mehrere Rosenbuschbäume vor jedem Haus), sondern auch hinsichtlich der Qualität. Das letzte Wort könnte man in Gänsefüßchen nehmen und den Punkt weglassen. Denn erstens, ist sowohl der Duft der Rosen wundervoll und vielseitig, als auch die Farbe.
Und zweitens, zu ihrer Beschreibung passt wirklich besser die Wortzusammensetzung Buschbaum. Aus der Erde wächst ein glatter, und in der Regel gerader Baumstamm, der etwa so dick ist, wie der Arm eines Erwachsenen, und auf einer Höhe von einem halben bis einem ganzen Meter befinden sich die Äste und Zweige, Blätter und Blumen. Nirgendwo habe ich bis dahin etwas Derartiges gesehen: weder auf den Straßen und in den Parkanlagen, noch in den Gewächshäusern. Und all diese Pracht vor dem Hintergrund der weißen Häuser des 19. Jahrhunderts. Stellen Sie sich das gerade vor?
Und außerdem – Ruhe. Nein, Touristen gibt es auf den Straßen genug, vor allem, wenn man diese mit der Bevölkerungszahl vergleicht, aber sie sind alle… ruhig, irgendwie. Vielleicht, weil nach Putbus für gewöhnlich Menschen kommen, die über 40 sind. Die genug Lärm, Trubel und anderes im Alltagsleben haben. Und im Urlaub brauchen sie keine Discos, Casinos, kilometerlange Strände und andere laute, menschenüberfüllte Orte und Örtlichkeiten. Einfach in dem jahrhundertelangen Park schlendern, die königlichen Rentiere bewundern, die hier fast in Freiheit leben, die Luft der Geschichte einatmen.
Verzeihen Sie mir das entbehrliche Schöngerede, aber die Luft in Putbus ist auch irgendwie besonders. Ja, das Meer befindet sich wortwörtlich auf einer Entfernung von drei Kilometern. Ja, die fast unberührte Natur überall. Aber, trotz alledem, gibt es noch etwas. Auf dem Niveau der feinen Welten, wenn Sie so wollen. Wirklich – Befriedigung. Die man nicht verlassen will, die es in keinem der Nachbarstädchen oder Dörfern auf der Insel gibt.
Meer, Dörfer, Kirchen
Bis zum nächsten Meeresufer aus Putbus kann man in einer halben Stunde gelangen. Zu Fuß. Sogar wenn man es dabei nicht besonders eilig hat. Und die am Ufer liegende Stadt Lauterbach war, ist und wird immer ein Dorf bleiben. Einst, wohl ein reines Fischerdorf, jetzt – ein Touristenplatz und ein Pilgerort der Segelsportler und anderer Liebhaber von „Meeresspaziergängen“. Aber trotzdem – Dorf.
Wie auch, übrigens, die wortwörtlich einige Kilometer weiter liegende Stadt Vilmnitz. Berühmt für ihre Kirche St. Maria Magdalena, die schon in 1249 existiert hat. Und in 1351 hat der Herrscher der hiesigen Ländereien Johann von Putbus in seinem Testament verordnet, dass er in dieser Kirche bestattet werden will. Seit dieser Zeit wurde es Brauch, die Toten dieser einst herrschenden Familie hier beizusetzen.
Von außen ist diese Kirche nicht groß und sieht nicht besonders aus. Aber dafür innen! Kein Foto kann die Schönheit und Einzigartigkeit, die sofort ins Auge fällt, wiedergeben.
Außerdem bleibt Vilmnitz mit seinen Strohdächern in Erinnerung, viele von denen heute ziemlich modern mit Satellitenschüsseln „dekoriert“ sind.
Und ich wollte so gerne noch mal zurück…
Ehrlich!
Erstens, nachdem ich in meiner Freizeit unzählige Brochüren geblättert habe, stellte ich fest, dass die Insel unzählige schöne Orte wortwörtlich im Überfluss hat, die man am besten besuchen sollte.
Und zweitens… Damals dachten meine Frau und ich, dass wir wieder in Putbus rasten werden. Die Stadt hat uns wirklich berührt, kann man sagen. Wahrscheinlich, zwischen all den weißen Häusern und den wohlduftenden Rosen glaubt man eher daran, dass man auf den Ländereien des legendären Buyan spaziert. Oder – der Insel Rus.
Bei der Planung des nächsten Urlaubs haben wir „unerwartet“ entschieden nach Binz zu fahren. Und, wie der aufmerksame Leser schon weiß, haben wir uns in diesen Kurort auf den ersten Blick verliebt. Aber nach Putbus, übrigens, sind wir trotzdem für einen Tag gefahren. Es gibt in dieser Stadt etwas Besonderes, was unserem materialistischen Verständnis von der Welt nicht untergeordnet werden kann. Eine besondere Energetik vielleicht. Oder einfach die einzigartige Verbindung der weißen Häuser und der blühenden Rosen wirkt auf irgendeine besondere Weise auf die Psyche ein. Ich weiß nicht…
Aus dem Russischen von Yevgeniya Marmer
Boris Kunin. Foto des Autors.