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Heinrich Steinfest, Nervöse Fische

Heinrich Steinfest, Nervöse Fische
Kriminalroman
Piper Verlag,
8,90,- €

Wie es sich für einen echten Kriminalroman gehört, gibt es gleich am Anfang eine Leiche und der Kommissar ist auch sofort zur Stelle. Damit hat es sich aber auch schon, was die üblichen Erfordernisse des Genres betrifft. Alles andere – sowohl in der Handlung als auch im Stil – passt so leicht in keine Krimischublade. Genau das macht jedoch den mit dem Deutschen Krimipreis 2004 ausgezeichneten Roman von Heinrich Steinfest lesenswert, vorausgesetzt man ist als Leser an mehr interessiert als an der Frage „Wer war´s?“

Ausgangspunkt dieses bizarren Romans ist ein ungewöhnlicher Fall: Die oben erwähnte Leiche schwimmt nämlich in einem Pool einer Dachterrasse in Wien und ist von Haibissen verstümmelt. Von einem Hai ist natürlich dort oben auf dem 28. Stockwerk weit und breit nichts zu sehen, und der Inspektor Lukastik schaut denn am Tatort auch erst einmal ausgiebig in den Himmel und hängt seinen Gedanken nach, die sich mehr um den ungewöhnlich schwülen Sommer in Wien drehen als um die kriminalistische Arbeit. Auch der Autor entwickelt erst einmal ein Psychogramm der Kollegen und Vorgesetzten von Lukastik, die naturgemäß allesamt ratlos um den Swimmingpool herumstehen, als sich mit den unappetitlichen Details der angebissenen Leiche zu beschäftigen.

 

Der Fall scheint nicht nur bizarr sondern schlicht unlösbar zu sein: Wie kommt ein Mann in Wien an Haibisse? Inspektor Lukastik geht jedoch unverdrossen den spärlichen Spuren nach. Denn unlösbare Fälle gibt es in seinem Weltbild nicht.

Er denkt nach. Aber keineswegs nur über Spuren, Motive und Indizien. Wie wir alle lässt er sich gern ablenken von den Erscheinungen des Alltags. Ihm geht so manches durch den Kopf, und man lässt sich gerne mitnehmen in die teils erhellenden teils abwegigen aber immer unterhaltsamen Gedanken eines Kommissars, der natürlich – wie kann es anders sein – selbst eine bizarre Figur ist. Lukastik ist unverheiratet und lebt bei seinen Eltern und seiner Schwester, mit der ihm in seiner Jugend mehr verband als bloße Bruderliebe.

Der Inspektor hatte einst Musik studiert und trägt in seiner Tasche stets ein Büchlein des Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein mit sich, den „Tractatus Logico Philosophicus“. Dieses Buch ist ihm mehr Talisman als Gegenstand der Lektüre, und aus dem Text, der auch für gelernte Philosophen fast unlesbar ist, sind ihm nur jene zwei Zitate geläufig, die alle kennen, die schon einmal von Wittgenstein gehört haben.

Das erste lautet: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ (Ins Kriminologische übersetzt müsste es eher heißen „Die Welt ist alles, was ein Fall ist!“) Die positivistische Maxime bestärkt den Inspektor jedenfalls in seinem eitlen Glauben an die Aufklärbarkeit auch der schwierigsten und verwickeltesten Fälle.

Seine eigenen Untersuchungsmethoden und Vorgehensweisen strafen allerdings jeder Logik und Eindeutigkeit Lügen, er verhilft sogar Verdächtigen zur Flucht und bringt sich durch sein selbstgerechtes Verhalten schließlich selbst in Lebensgefahr.

Der Hauptverdächtige ist der Friseur und Tauchfreund des Opfers. Ihn und die junge Geliebte des Opfers lässt Lukastik laufen. Der ominöse Frisör kommt freiwillig zurück, legt ein Geständnis ab und erschießt sich. Damit scheint der Fall zunächst klar, aber es gibt eine skurrile Wendung, die alles wieder fraglich erscheinen lässt. Diesmal macht Lukastik selbst eine unfreiwillige Begegnung mit Haien.

Er hat nämlich das zweite Zitat aus dem Tractatus nicht beherzigt, was da heißt: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“

Der Autor ist seinem Helden in dieser Erkenntnis jedoch voraus, er stupst ihn und uns immer wieder mit der Nase in das unaussprechlich Dunkle und Irrationale.

Es gibt übrigens noch ein drittes Wittgenstein-Zitat: „Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.“

So ist es!

Aber man kann ja einen wunderbaren Kriminalroman darüber schreiben.

 

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Über Holger Schwenke

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