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Ukraine auf dem Weg zur Eurointegration

Eine Menge von Fragen stellen ukrainische Bürger in ihren Briefen an unsere Redaktion. Um die von den Lesern am häufigsten gestellten Fragen zu beantworten, hat sich unser Redaktor mit dem ukrainischen Generalkonsul Jurij A. Jarmilko in Hamburg getroffen.

 

 

MK: Erzählen Sie bitte ein bisschen von sich. Was für ein Mensch wird Diplomat?

– Ukrainischer Generalkonsul: Ein Diplomat kann man auf unterschiedliche Weise werden. Jeder hat seinen eigenen Weg. Zum Beispiel, hat der neue ukrainische Botschafter in Deutschland Physik studiert, was ihn nicht daran gehindert hatte einige Fremdsprachen zu erlernen, ein wunderbarer Verhandlungsspezialist, ukrainischer Vize-Außenminister und danach Botschafter in Deutschland zu werden. Mein Weg war eher klassisch in Hinsicht auf die Bildung, aber andererseits, nicht so einfach. Ich beendete die Schule in Tscherkassy mit einer Goldmedaille, was mir in großem Umfang später geholfen hat. Danach beendete ich die Kiewer Universität mit dem Abschluss in „Internationale Beziehungen“. Ein klassischer Weg eines Diplomaten, aber danach ereignete sich für mich eine „Störung“, die zehn Jahre andauerte.

Als ich meinen Universitätsabschluss im Jahr 1981 machte, wollte ich im ukrainischen Außenministerim arbeiten, aber ich konnte nicht, denn damals waren dort etwa 50 Personen beschäftigt und dahin ohne „Vitamin B“ zu gelangen war nicht möglich, deswegen musste ich zehn Jahre auf meine Chance warten, in der Armee dienen und zum Ende des Jahres 1990, als die erste Welle der Erweiterung des ukrainischen Außenministeriums anfing, bekam ich einen Diplomaten-Job. Seit dieser Zeit und jetzt schon über 20 Jahre arbeite ich als Diplomat. In dieser Zeit arbeitete ich in verschiedenen Bereichen und das ist auch die grundlegende Stellung der heutigen Außenministeriumsverwaltung – alle Diplomaten müssen ein „breites Profil“ aufweisen. Ich war in der zentralen Abteilung des Außenministeriums tätig: im Pressedienst, im Konsulat, in der Personalabteilung, wie es jetzt heißt, und in dieser Zeit hatte ich auch einige Dienstreisen außerhalb des Landes antreten müssen. Meine erste Dienstreise führte mich nach Österreich, wo 1992 eine ukrainische Botschaft eröffnet wurde, wonach ich die recht schwere Aufgabe hatte, ein ukrainisches Generalkonsulat in Frankfurt-am-Main zu eröffnen. Danach habe ich in zwei deutschen Städten gearbeitet – bis vor Kurzem war ich Generalkonsul in München, und ab Mai dieses Jahres wurde ich nach Hamburg versetzt. Die Arbeit im Amt des Generalkonsuls in diesem Büro macht uns verantwortlich für vier Bundesländer: Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

– Welche Aufgaben bewältigt das ukrainische Generalkonsulat in Hamburg?

– Vielen Dank für diese Frage, denn nicht alle kennen den Unterschied zwischen einer Botschaft und einem Konsulat und wozu es eines Generalkonsulats bedarf, wenn es eine Botschaft gibt. Hierbei ist es notwendig zwei Aspekte zu erörtern. Erstens, das Generalkonsulat ist eine diplomatische Behörde, die für einen bestimmten Teil des Staates verantwortlich ist, um genauer zu sein – für sein Konsularbezirk (ich nannte vorhin die Länder, die zu unserem Konsularbezirk gehören). Die Hauptaufgabe des Konsulats ist die Vertretung der Rechte und Interessen unserer Landsleute – ukrainischer Bürger, Hilfestellung für ukrainische Firmen und Behörden, für rechtliche und physische Personen, die auf die eine oder andere Weise mit Deutschland verbunden sind, und genauer, mit unserem Bezirk. Denn für unsere Bürger ist das Generalkonsulat, sowohl ein Notar, als auch ein Standesamt, wie auch ein Bürgeramt und sogar manchmal wie ein Bestattungsunternehmen. Bei all diesen Dingen sind wir hier des Öfterne der wichtigste und der einzige Ansprechpartner. Zweitens, sind wir eine Minibotschaft unseres Staates im entsprechenden Bundesland. Sowohl die Politik und die Kultur, als auch die Bildung und die Verbindung mit den Medien – die Arbeit in diesen Bereichen ist unsere Aufgabe. Wahrscheinlich, müsste man die Ökonomie extra erwähnen, im Moment ist der Terminus „Ökonomisierung der Außerpolitik“ sehr aktuell. Und die Staatsverwaltung, die Außenministeriumverwaltung rufen dazu auf, dass wir mit aller Kraft der Durchsetzung der ukrainischen Firmen in Deutschland verhelfen und aktiv den deutschen Business-Strukturen helfen, die in der Ukraine arbeiten, vor allem, in Hinsicht auf Investitionen. Zum Beispiel, die Zusammenarbeit des Hamburger Hafens mit dem Hafen von Odessa ist, meiner Meinung nach, einer von wenigen, zum jetzigen Zeitpunkt, positiven Beispielen. Heute investierte die Firma „Hamburg Port Consulting“ (HPC) 70 Millionen Euro in die Entwicklung der Infrastruktur des Seehafens von Odessa, im November nächsten Jahres wird in Odessa ein kleiner Container-Terminal eröffnet. Natürlich pflegen und unterstützen wir Kontakte sowohl mit der deutschen, als auch mit der ukrainischen Seite. Wir verstehen sehr gut, dass die Zeiten sich geändert haben und, dass das Business einen Weg auch ohne die Diplomatie findet, jedoch ist unsere Unterstützung sehr oft notwendig.

– Wie ist die Situation mit neuen ukrainischen Pässen und werden diese überhaupt eingeführt? Und wenn ja, wann?

– Wahrscheinlich beschäftigt diese Frage viele Leser Ihrer respektablen Zeitschrift. Unbeachtet der Schwierigkeiten mit der Ausgabe der Pässe, gab es in letzter Zeit kein einziges Mal, dass wir jemandem einen Pass nicht gegeben hätten, der ihn sehr gebraucht hätte. Ich möchte Sie schnell erfreuen – in nächster Zeit wird sich die Situation entschieden ändern und wir werden den Prozess der Umstellung auf die Ausgabe neuer ukrainischer Pässe vollenden müssen. Und die Prozedur wird grundlegend anders sein, denn bis vor Kurzem stellten wir Pässe nur im Konsulat aus und stellten diese selber her, und jetzt werden die modernen Pässe mit biometrischen Fotos und allen nötigen Attributen in Kiew hergestellt. Wir werden die Papiere annehmen, sie über die modernen Kanäle nach Kiew schicken und die Pässe schon im fertigen Zustand bekommen. Ich würde nur ungerne den Lesern leere Versprechungen über die exakten Fristen machen, aber ich kann sagen, dass wir uns in der letzten Etappe befinden: es ist eine Frage einiger Monate, und womöglich, einiger Wochen, worüber wir die Leser von MK zusätzlich informieren werden.

– Und wie können die ukrainischen Bürger in der BRD die neuen Pässe bekommen?

– Ungefähr auf die gleiche Weise, wie es auch bis jetzt war. Es kann sich nur die Liste der benötigten Papiere unbeträchtlich ändern. Es wird auch ein spezielles Foto benötigt, das wir möglicherweise selber machen werden, oder ein Abkommen mit einer Firma abschließen, die das Foto in Anbetracht der notwendigen Forderungen machen kann. Biometrische Fotos – das ist der grundlegende Unterschied der neuen Pässe.

– Gibt es die Hoffnung, dass die Visumpflicht für Deutschland und die Ukraine vereinfacht wird?

– Eine wunderbare Frage, aber ich würde wollen, dass Sie diese im Rahmen Ihrer Möglichkeiten an die deutschen Behörden stellen, und genauer – an das deutsche Außenministerium. Wir sind nur „pro“ und haben dafür alles Mögliche und noch mehr getan: noch in 2006 haben wir die Visumpflicht für die EU einseitig beendet, deswegen warten wir immer noch auf die Antwort. Man muss sagen, dass in dieser Richtung ein bestimmter Progress zu beobachten ist, z.B. einige Liberalisierung der Visumpflicht, aber mehr ist wünschenswert – bis zur vollständigen Visumfreiheit für ukrainische Bürger. Wir glauben, dass es dafür keine prinzipiellen Hindernisse gibt und hoffen, dass früher oder später das geschehen wird. Bisweilen werden Verhandlungen durchgeführt, aber hierbei existieren einige bestimmte bürokratische Schwierigkeiten: die Hauptverhandlungen finden in Brüssel statt, aber manchmal, soweit ich von meinen Kollegen weiß, gibt es einen Aufruf mit jedem Land einzeln zu verhandeln. Dabei wird uns auf zweiseitiger Ebene versichert, dass Brüssel die Entscheidung treffen muss und man sich auf die dortigen Verhandlungen konzentrieren soll. Die Bürokratie agiert, jedoch bleiben wir optimistisch, und die Einführung biometrischer Pässe ist einer der Schritte in Richtung der Visumfreiheit. Selbstverständlich, hat keiner vor bei dem Erreichten stehen zu bleiben – es gibt schon Kompromisse für Businessleute und Journalisten bei den Fristen der Beantragung und Erhalts der Visa, aber wir hoffen auf eine Visumfreiheit in vollem Umfang.

– Was möchte Ukraine von der EU bekommen und was kann Sie im Gegenzug anbieten?

– Das ist eine viel zu globale Frage, aber in diesem Kontext möchte ich unterstreichen, dass die europäische Integration zur Priorität der ukrainischen Außenpolitik zählt. Wir würden uns gerne in Zukunft in der EU als Teil einer einheitlichen europäischen Familie sehen. Wir verstehen, dass vieles von uns abhängt und, dass wir eine ziemlich ernsthafte „Hausaufgabe“ in Bezug auf die Änderungen unserer Gesetze bezüglich der weiteren Demokratie haben, und ebenfalls im Bereich der wirtschaftlichen Änderungen. Was wir von der EU erwarten – einen Aspekt haben wir mit Ihnen schon besprochen – ist die Bewegungsfreiheit, welche die EU als Basis deklariert. Wir möchten gerne, dass das auch unsere Bürger betrifft. Wir möchten auch gerne, dass Ukraine die Möglichkeit bekommt aktiver auf den europäischen Märkten aufzutreten und mit anderen Länderökonomien zu konkurrieren. Heutzutage ist das nicht einfach, aber in Bereichen, wie z.B. der Landwirtschaft, würden wir gerne mehr Produkte liefern, als das im Moment im Rahmen der Quoten und Restriktionen geschieht.

– In der Ukraine fanden am 28. Oktober die Wahlen in die Werchowna Rada (deutsch. Oberster Rat) statt. Wie bewerten Sie diese?

– Wir müssen die Endergenisse abwarten und wahrscheinlich die Ergebnisse der Neuwahlen in einigen Bezirken. Im Großen und Ganzen denke ich, dass die Wahlen würdevoll und demokratisch verlaufen sind. Die Mehrheit der objektiven Beobachter hat dieselbe Meinung. Übrigens, mich verwundern einige negative Bewertungen und erinnern an die Geschichte mit dem Fußball, und zwar, der EM 2012, als einige Skeptiker noch vor Anfang der Meisterschaft sagten, dass alles schlecht sei und alles nicht in Ordnung sein wird. Und im Endeffekt ist alles genau andersrum passiert… Es ist wünschenswert, dass diese „Restwahlen“ schneller zu Ende gehen, damit das Parlament endlich mit seiner Arbeit anfangen kann. Das wäre ein deutliches Beispiel für die demokratische Entwicklung Ukraines. Was die Wahlen in die ukrainische Werchowna Rada in Deutschland betrifft, dann fanden diese in allen ukrainischen Konsulaten (die Ukrainer konnten in Berlin, Bonn, Hamburg, München und Frankfurt wählen gehen) sehr organisiert und ohne Exzesse, statt. Die Leute konnten absolut demokratisch ihre Position vertreten, obwohl ich anmerken muss, dass weniger Wähler kamen, als bei den vorigen Präsidentenwahlen. Aber so war die allgemeine Tendenz, und nicht nur in Deutschland.

– Was gefällt Ihnen und gefällt Ihnen nicht in Deutschland?

– Der erste Teil der Frage ist nicht schwer zu beantworten: mir gefällt fast alles. Der Lebensstil, die Kultur, dass das System funktioniert – wenn man von den Wahlen hier spricht, dann muss man anerkennen, dass das deutsche politische System, ein System einer jahrhundertealten Demokratie ist und nur wenig von den einzelnen Führungspersonen abhängt. Bei uns, in ehemaligen Sowjetrepubliken, hängt von der Persönlichkeit der Führungsperson viel mehr ab. Hier kann man von der Rolle der Person in der Geschichte sprechen, über die Rolle der regierenden Partei, etc. Ich fahre damit fort, dass ich das Land selbst mag, wobei ich das Glück hatte in verschiedenen Teilen des Landes zu arbeiten, mir gefallen die Menschen. Unbeachtet der Schwierigkeiten der Verhandlungsaufgaben, die man im Laufe der diplomatischen Arbeit bewältigen muss, bin ich kein einziges Mal auf Unfreundlichkeit oder Vorurteile bei deutschen Partnern aufgetroffen. Der zweite Teil der Frage ist schwieriger zu beantworten… Wahrscheinlich, existiert keine ideale Gesellschaft oder idealer Staat. Was mir nicht gefällt ist wohl die internationale und transnationale Bürokratie. Manchmal entstehen Situationen, an die man sich nur schwer gewöhnen kann, wie z.B. beim Abschluss von Abkommen oder Verträgen. Einen Vertrag abschließen ist einfach, aber da wieder raus zu kommen ist um einiges schwieriger. Und außerdem: wir haben gerade einige Beispiele dafür, dass in rechtlicher Hinsicht das deutsche Rechtssystem ihre eigenen Bürger vorzieht. Z.B. bei Auseinandersetzungen, die mit Elternrechten verbunden sind, zieht der deutsche Staat, bei sonstigen gleichen Bedingungen, Eltern vor, die Bürger der BRD sind, was in einigen Fällen den Kindern schadet.

– Sagen Sie, haben Sie ein Hobby?

– In klassischer Hinsicht habe ich kein Hobby, aber ich mag Sport. Leider, treibe ich eher wenig Sport, sondern bin eher ein leidenschaftlicher Fan und das schon lange. Ich meine damit Fußball. Ich reise gerne und benutze jede freie Minute dazu, um mir z.B. Norddeutschland anzuschauen. Ich lese gerne Zeitungen. Ich weiß nicht mal, ob man das als Hobby bezeichnen kann… Ich lese gerne, aber nicht im Internet, sondern in der klassischen Form – in der Papierform. Seinerzeit habe ich mit vielen Medien zusammengearbeitet, und seit dieser Zeit ist die Gewohnheit geblieben die neuesten Pressenachrichten aufmerksam durchzulesen. Ich versuche immer auf dem neusten Stand zu bleiben.

 

– Vielen Dank für das interessante Interview, viel Erfolg bei Ihrer nicht leichten Arbeit!

 

Das Interview hat Vitalij Shnayder durchgeführt

Foto von Wladimir Shapowal

Aus dem Russischen von Yevgeniya Marmer

 

русская православная церковь заграницей иконы божией матери курская коренная в ганновере

Über Vitalij Shnayder

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