Abbas Khider, Der falsche Inder
Roman
Nautilus Verlag
Hamburg 2008
„Ich wechselte die Städte Asiens, Afrikas und Europas wie andere Leute ihre Hemden und versuchte in jedem neuen Land und jeder neuen Stadt neue Wurzeln zu schlagen.“
Der dies sagt, ist kein kosmopolitischer Reisender und kein Manager der globalisierten Ökonomie sondern ein Teilnehmer eines globalisierten Flüchtlingsstroms, der sich über ganze Kontinente erstreckt. Der Roman im Roman von Abbas Khider hat einen Icherzähler namens Rasul Hamid, der ebenso wie der Autor in Bagdad geboren wurde, im Irak aus politischen gründen ins Gefängnis kam und danach eine Flüchtlings-Odyssee antrat, die ihn nach Jordanien, Ägypten, Libyen, Tunesien, und die Türkei führte, bis er schließlich auf dem Weg nach Schweden über Griechenland und Italien nach Deutschland kommt und dort wider Willen festgehalten wird.
Der Autor lebt seit 2000 in Deutschland, studierte Literaturwissenschaft in München und Potsdam, schreibt mittlerweile auf Deutsch und erhielt für „Der falsche Inder“ 2010 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis“
Sein Held Rasud flüchtet vor dem diktatorischen Regime Saddam Husseins und führt über viele Jahre die Existenz eines Illegalen, ein Mann ohne Papiere, immer auf dem Sprung, eine displaced person in jeder Hinsicht. Schon im Irak war er ein Außenseiter, der wegen seines Aussehens für einen Inder gehalten wurde.
Seine Flucht durch die Kontinente nimmt bisweilen die Züge einer Posse an, in der ein gutgläubiger Mensch von einer Katastrophe in die nächste stolpert, von Verfolgung in Bürgerkrieg, von Despotie in Ausbeutung, der zwischen ethnische Konflikten gerät und die Gefängnisse dieser Welt kennen lernt, bis er schließlich in Deutschland Opfer einer absurden Asylpolitik wird.
Die Abfolge an Leid und Gewalt wird durchkreuzt von kurzen erotischen Abenteuern und anrührenden Freundschaften. Der Schrecken dieser Existenz ist für den Leser deshalb erträglich, weil dieser Roman bisweilen leichtfüßig im Ton eines Schelmenromans daherkommt, wie die Abenteuer eines Simplicius Simplicissimus im Exil. Aber hinter der Leichtigkeit und dem Charme ist der Abgrund stets präsent. Abbas Khider gelingt es jedoch, eine Form für den nicht enden wollenden Wahnsinn zu finden, indem er zirkulär vorgeht, immer wieder neu ansetzt und aus jedem Kapitel eine abgeschlossenen Geschichte macht.
In diesem strudelhaften Erzählen wird der Horror der jahrelangen Flucht deutlicher als in jeder detaillierten Gewaltbeschreibung.
In einem Interview mit der Zeitschrift „Gegenworte“ erklärt Abbas Khider, dass die neue Sprache – Deutsch – ihm einen ungeahnten Freiraum geschaffen habe:
“In der fremden Sprache wird es möglich, über alles zu reden. Ich kann über mehr Dinge offener sprechen auf Deutsch. Man kann sagen, dass die Selbstzensur der eigenen Kultur wegfällt … und die fremde Sprache bedeutet deshalb eine große
Freiheit – der deutsche Abbas ist freier.“
Möglicherweise ist es dieser Freiheit zu verdanken, dass der Blick auf das Flüchtlingsschicksal eine persönliche und zugleich universelle Ebene offen legt, die bei der politischen und humanen Sicht auf Asylbewegungen meist verloren geht. Fast mühelos gelingt es dem Autor nämlich zu zeigen, dass das Exil viel früher ansetzen kann, dass die Frakturen in der Person selbst und in seiner Beziehung zur Zeit und zur Geschichte angelegt sind.
„Was bleibt zurück von all den erlittenen Katastrophen?“ fragt sich Rasul, „oder bleibt da etwas anderes, etwas Unbeschreibliches und Rätselhaftes im Innern zurück? Ein Friedhof von Erinnerungen an eine Heerschar von Albträumen und Toten.“
So gesehen lässt sich das Schicksal der Flucht auch lesen als etwas anderes als eine bloße Passage, für den Helden ist es ein Dauerzustand, der ihn niemals mehr verlassen wird.