„Übersetzt von Pavel Gruschko“, – las ich das Kleingedruckte unter meinen Lieblingsgedichten. Oder „Das Libretto von Pavel Gruschko“ auf den Plakaten. Er erschien mir genau so fremd, wie die Spanier und Latinoamerikaner, die er übersetzt hat. Aber hier ist er, tritt in Manhattan auf, praktisch um die Ecke von mir!
Das Treffen, das von der amerikanischen Puschkin-Gesellschaft organisiert wurde, findet in den Räumen von der Nationalen Schriftstellergemeinschaft von Amerika statt. Das ist durchaus natürlich und logisch: die Puschkin-Gesellschaft arbeitet schon lange an der Vereinigung von zwei Kulturen, und wer, wenn nicht ein Übersetzer, dringt wirklich in andere Kulturen, andere Sprachen ein und erstellt dabei eine Art gemeinsamer Raum.
Also los! Welche Werk soll ich für ein Autogramm nehmen?.. Natürlich die Disc „Das Stern und der Tod von Joaquin Murieta“! Meine Lieblingsmusik, die bis zur letzten Note und Phrase bekannte Rock-Oper, ein Hauch von einer anderen Welt, einer anderen Kultur, geistiges Schmaus in den hungrigen 80er Jahren. Oder nein, besser wären die Übersetzungen von Lorki und Neruda. Es war doch der Gruschko, der sie den russischsprachigen Leser fast auf einem Silbertablett serviert hat… Ich nehme den Sammelband von Regal und fahre nach Midtown.
Die Übersetzer bekommen selten die Lorbeeren. Ihre Namen werden vergessen, außer es ist Zwetajewa oder Pasternak. Aber bei Gruschko kam es anderes. Seine Übersetzungen sind so selbstständig und voller Respekt für die die Persönlichkeit des Verfassers, dass der Name des Übersetzers lange in Erinnerung bleibt. Als ein Schüler von Ovadij Savitsch, Wilhelm Levick und Arseni Tarkowski fing Gruschko noch in den 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts an, spanische Gedichte zu übersetzen und nahm so einen würdigen führenden Platz unter den russischen Hispanisten ein.
In der jüngsten Vergangenheit war Pavel Gruschko Leiter des Kreativworkshops an der Maxim-Gorki-Literaturinstitut und der Lomonossow-Universität Moskau, einer der Gründer und Vizepräsident des Hispanisten-Vereinigung Russlands, Gewinner des russischen „Master“ – Preises, der von der Zunft der literarischen Übersetzer verliehen wird, sowie Gewinner der Goldmedaille Alberico Sala für das Jahr 1994 im Genre der Poesie (Italien).
P. Gruschko unterhält sich ungezwungen mit den Zuschauern.
Sein Programm „Dritte Blattseite – Gedichte und das, was dahinter steckt“ beinhaltet nicht nur Übersetzungen. Ein weiteres Lieblingsgenre des Dichters ist das Libretto in Versen, „Theater des Gedichteschreibens“, wie er es nennt… Sein Libretto für das, auf der dramatischen Kantate Pablo Nerudas basierte, Theaterstück „Das Stern und der Tod von Joaquin Murieta“, zum Beispiel, überstand fast 1.500 Aufführungen in einem Moskauer Theater „Lenkom“, wurde zum Film und vielen Musikalben. Dazu veröffentlichte er vier Gedichtbänder „Verwahrlostes Garten“, „Umarme das Kaninchen“, „Zwischen Ich und Wirklichkeit“ und „Freiheit der Wörtert“. 2008 erschien die Anthologie seines Theater-Librettos „Theater im Vers“ und erst vor kurzem die Anthologie von Übersetzungen der spanischen Dichter „Bekleidung der Schatten“.
– Ich halte mich in der Literatur für einen Praktiker und Kämpfer. – sagt Pavel Moissevitsch, um sich den theoretischen Diskussionen zu entziehen. Dann hält er es trotzdem nicht aus und beginnt, seine Prinzipien der Übersetzung zu erklären:
– Ich bin ein Mann des Textes. Ich übersetze nicht die Wörter, sondern den Sinn. Eine Übersetzung ist so eine Art Zaubertrick. Russische Dichtkunst ist erstaunlich gastfreundlich zur ausländischen Poesie, aber es muss so übersetzt werden, dass dennoch ein Hauch fremdländischer Frucht bleibt, sonst kommt an Ende nur noch „Moosbeere“ raus.
Nach dem Auftritt: Zuschauer stellen Fragen an dem Maitre.
Und, man muss sagen, er hat es jedes Mal geschafft. Vom Barock bis zur Moderne, von Katalonien bis Chile – „eine Verrücktheit“ des, für die russische Poesie exotischen Rhythmus bleibt in der Übersetzung, trotz des Übergangs von Syllabischen zum Syllabisch-Tonischen-Versprinzip.
– Und was ist mit dem Theater? Ihre Librettos?
– Hier ist die Handlung wichtig und nicht die dichterische Eigenheiten. Wie es Eliot sagte: Poesie im Theater ist die Dienerin des Dramaturgie. Sie ist dazu da, die Aktion zu fördern.
Eins von seinen dichterischen Libretto „War es oder war es nicht…“, nach dem Roman von Bulgakov „Master und Margarita“, wurde als eigenes Buch veröffentlicht. Der Dichter liest daraus einige Passagen. Zwischendurch stoppt er sich, um die Zuschauer an die entsprechende Stelle aus dem Roman zu erinnern. Es ist schon seltsam, wie sehr dieses Treffen einem vertraulichen Gespräch gleicht. Pavel Moissevitsch richtet sich an den Zuschauer, wie an einem gleichberechtigten, ausgebildeten und aufmerksamen Gesprächspartner.
Also, Theater, Übersetzungen… und, natürlich, die eigenen Gedichte. Er liest und stoppt sich, um die besonders gelungene Reime zu betonen.
– Übersetzungen von den Größten helfen zu verstehen, was Poesie eigentlich bedeutet… In ihnen stecken große Tipps darüber, wie man schreiben soll. Nach den gereimten Versen kommen freie Verse – kompakt, aphoristisch:
– In den freien Versen gibt es, wie ich es nenne, eine vertikale Dimension, die die erste Zeile vorgibt. Und natürlich sollte der freie Vers kompakt sein, nicht lang, sonst sind es langweilige ungezügelte Bewusstseinsströme.
Nach der Lyrik kommen die Gedichte über die Gedichte, danach – aus dem Spanischen übersetzte Sprichwörter und Redewendungen. Er freut sich wie ein Kind, wenn ihm etwas sehr gelungen erscheint, genießt den Einzeiler, und scheint seine ganze Freude an dem Vorgang zu haben. Die Autogrammverteilung dauert lange: Gruschko fragt jeden nach den Details, unterschreibt die Bücher und Discs informell und mit viel Phantasie – mal mit einer Zitate, mal mit einer Freundschaftsanfrage. So ein Interesse an den Menschen kann man nicht nachmachen, es ist völlig natürlich.
Pavel Gruschko: unzertrennbarer Helfer der Übersetzer und Dichter – Laptop
Danach essen wir in einem marokkanischen Restaurant zu Abend. Pavel Moissevitsch redet mit der Bedienung spanisch, sie entpuppt sich nicht als Marokkanerin, sondern aus Brasilien, und Spanisch ist dem Portugiesischen ziemlich ähnlich. Es folgt auch gleich die Erklärung: „Vielleicht spreche ich auch deshalb kein Englisch, weil Spanisch in Amerika als zweite Sprache gilt und man findet immer jemandem, der es spricht.“
Pavel Moissevitsch erzählt weiter – über das Übersetzen von modernen amerikanischen Dichtern Richard Wilbur und Howard Nemerov, über den Umzug nach Boston 2001, über die seltenen Besuche von seiner Heimat Moskau (er wurde zwar in Odessa geboren, hat sie aber verlassen, als er nur zwei Wochen alt war), über die Kuba in Tagen der Kuba-Krise (während den Dreharbeiten für den Film von Kalatosow „Ich bin Kuba“), über Neruda (er hat zwölf Bücher von Neruda übersetzt, die ebenfalls als ein eigenes Band herausgegeben wurden), über Sacharow, über Reina. Und wieder über „Murieta“ – er rezitiert auswendig Passagen aus diesem Theaterstück, nach Motiven von Neruda, im Zungenbrechertempo:
„Hier Dächer und Birnen sind nass vom Regen, und an den Hängen / wandern die Weinberge, riecht nach Oregano und Jasmin…“ – und die Musik dieser Dichtung rüttelt an der Luft des halbverdunkelten Restaurants und seufzen im Takt die fernen Kordilleren, die sich dem russischen Dichter geöffnet haben.
Er ist bei dem Gespräch großzügig und ausführlich – teilt Geschichten, Fähigkeiten, Beobachtungen und sogar Träume. Er schreibt das Buch der Erinnerungen, aber seine Gedichte sind die Randbemerkungen, Meilensteine, Zeugen eines langen Lebens, reich an Ereignissen und Eindrücken.
Galina Izkovich (New York), Foto der Autorin