Der Dichterfürst der russischen Literatur Alexander Sergejewitsch Puschkin hatte viele Verehrer und Nachahmer. Einer von ihnen war Michail Jurjewitsch Lermontow, der selbst auch ein großer Dichter und Schriftsteller war. Puschkins Einfluss auf Lermontow war sehr weitreichend. Deutlich zu sehen ist es im Gedicht „Drei Palmen“, das im Grunde eine Weiterentwicklung des Gedichtes „IX“ aus den „Nachahmungen des Korans“ von A. S. Puschkin ist. Lermontow bediente sich der gleichen Thematik, der gleichen Bilder. Er benutzte sogar das gleiche Versmaß. Und doch sind es zwei sehr verschiedene Werke. Das Gedicht „Drei Palmen“ wirkt fast wie ein Nachruf auf den verehrten Meister, der in dem Jahr, in dem dieses Gedicht entstanden ist, bei einem Duell getötet wurde.
(M.N.)
A. S. Puschkin
NACHAHMUNG DES KORANS
IX
Ein Wanderer haderte heftig mit Gott.
Er ging durch die Wüste im langsamen Trott,
War hungrig und durstig seit mehr als drei Tagen
Und suchte nach Schatten nach all diesen Plagen.
Da sah einen Brunn er im glühenden Sand,
Dazu eine Palme, die über ihm stand.
Er lief zu dem Brunnen im eiligen Schritt
Und zog seine Eselin hinter sich mit.
Er trank von dem Wasser und netzte die Lider,
Und legte sich neben der Eselin nieder
Und schlief. Dann über ihm sind viele Jahre gerollt,
So wie es der Herrscher des Himmels gewollt.
Als dann ihm die Stunde des Aufstehens schlug,
Ward ihm eine Stimme, die grollte und frug:
„Du hast hier geschlafen, jetzt sag mir wie lange?“
„Die Sonne stand gestern am himmlischen Hange,
Auch jetzt ist sie da, und ich merk ohne Müh’
Ich schlief wohl von gestern bis heut in der Früh’“
Doch dazu die Stimme: „O Wanderer, nein!
Du schliefst sehr viel länger. Als Jüngling schliefst ein,
Jetzt bist du ein Greis. Und die Palme, der Brunnen
Sind längst in der Wüste verdorrt und verschwunden.
Der Wind bleicht die Knochen der Eselin weiß.“
Da schluchzte erschauernd der plötzliche Greis.
Vom Kummer erfüllt ließ er hängen sein Haupt
Und fühlte sich all seiner Zukunft beraubt.
Da ist in der Wüste ein Wunder geschehen:
Man sah die Vergangenheit wieder erstehen.
Die Knochen der Eselin werden umhüllt
Mit Fleisch und mit Haut. Sie steht auf und sie brüllt.
Die Palme wiegt wieder ihr schattiges Laub.
Der Brunnen mit Wasser gefüllt, nicht mit Staub.
Der Wanderer spürt wieder Jugend im Blute
Und ist jetzt bereit. seiner früheren Rute
Zu folgen mit Gott und mit schwellender Brust,
Mit heiliger Freude und seliger Lust.
M. Lermontow
DREI PALMEN
Einst wuchsen im heißen, arabischen Land
Drei herrliche Palmen im treibenden Sand.
Ein Bächlein benetzte die Erde beständig,
Umspülte die Wurzeln und hielt sie lebendig.
Die Blätter beschirmten den rauschenden Bach
Vor Sonne und Wind wie ein schützendes Dach.
So fließen die Jahre. Jahrzehnte vergeh’n.
Doch noch hat kein Mensch diese Schönheit geseh’n.
Kein Pilger hat je von dem Wasser getrunken,
Ist müde im Schatten hernieder gesunken.
Zu welken begann schon das schützende Dach,
Vertrocknen die Blätter, versiegen der Bach.
Die Palmen begannen zu hadern mit Gott:
„Wir fragen das Schicksal, sind wir denn zum Spott
Gestellt in die Sonne, auf glühende Erde,
Wozu sind wir nützlich, was soll aus uns werden?
Wir wuchsen und blühten, gediehen nicht schlecht.
Dein heiliges Urteil wird uns nicht gerecht.“
Und als sie verstummten und senkten ihr Haupt,
Da sah man fernab eine Wolke aus Staub.
Im gleißenden Licht über goldne Barchane
Bewegte sich eine Kamelkarawane
Mit wiegenden Schritten wie Schiffe im Meer.
Der Wind trug das Klingeln der Glöckchen daher.
Und zwischen den Höckern hoch oben ein Zelt
Mit einer geheimen, verborgenen Welt.
Die kleine Behausung in luftigen Höhen,
Mit bunten und schillernden Stoffen versehen,
Gab frei eine Hand. Und im faltigen Ritz –
Ein Augenpaar, neugierig, schnell wie der Blitz.
Und Reiter begleiten den langsamen Tross,
Es fliegen die Pfeile, es tänzelt das Ross.
Die bunte Gesellschaft, Kamele und Reiter
Bewegten sich lärmend und sorglos und heiter.
Die Palmen begrüßten die Reisenden stolz
Mit rauschenden Blättern, mit bebendem Holz.
Dann kamen sie näher und stoppten den Lauf
Und schlugen im Schatten ihr Zeltlager auf.
Sie tranken ausgiebig vom Wasser der Quelle
Und schöpften und tränkten auch Ross und Kamele.
Sie lärmten und ruhten und aßen sodann,
Bis Unheil verheißend der Abend begann.
Denn kaum hat die Nacht ihre Schatten gelegt,
Da wurden die Palmen gefällt und zersägt.
Die Riesen zu Kleinholz zerhackt und zerschlissen,
Ihr Laub wurde ihnen vom Leibe gerissen.
Sie wurden dann langsam im Feuer verbrannt.
Und niemand hat ihre Geschichte gekannt.
Der Morgen begann, und der lärmende Tross
Brach auf in die Ferne mit Reiter und Ross.
Zurück blieb nur Abfall, erkaltete Asche.
Man hörte den Wind mit den Sandkörnern rascheln.
Die Sonne bewegte sich langsam gen West,
Versengte, zerstreute den kläglichen Rest.
Jetzt ist es hier öde, kein Baum und kein Laub.
Der Bach liegt bedeckt unter Asche und Staub
Und bittet umsonst den Propheten um Schatten,
Er kann in der Wüste kein Wunder erwarten.
Nur manchmal ein Geier, der fliegt übers Land
Und reißt seine Beute im glühenden Sand.
Übersetzt auf Deutsch Melitta Neumann.